Ruhig Blut!
verschwand sie plötzlich. Dann hörte es sich so an, als spielte jemand Tonleitern, und das ebenso schlecht wie zornig.
Ich kann jederzeit darauf hinweisen, dachte Agnes. Wann immer es mir gefällt. Ich brauche nur den Mund zu öffnen und es zu sagen.
Alle anderen applaudierten höflich. Agnes versuchte, ihrem Beispiel zu folgen, aber ihr linker Arm streikte plötzlich – dort wurde Perdita stärker.
Vlad erschien so schnell an ihrer Seite, als hätte er sich überhaupt nicht bewegt.
»Du bist eine… faszinierende Frau, Fräulein Nitt«, sagte er. »Du hast
* König Verence wollte, daß jemand eine Hymne für Lancre komponierte, wenn möglich mit einem Hinweis auf die schönen Bäume im Königreich, und er bot eine kleine Belohnung dafür an. Nanny Ogg witterte leicht zu verdienendes Geld, denn Hymnen haben immer nur eine Strophe. Besser gesagt: Sie haben alle die gleiche zweite Strophe. Sie lautet »Ta… tata… tata tam... tata... tata tam« und wird gesummt, bis sich die Leute an die letzte Zeile der ersten Strophe erinnern und diese ganz laut singen.
so hübsches Haar, wenn ich das sagen darf. Wer ist Perdita?«
»Eigentlich niemand«, murmelte Agnes. Sie kämpfte gegen den Wunsch an, die linke Hand zur Faust zu ballen. Perdita schrie erneut in ihrem Innern.
Vlad berührte eine Strähne ihres Haars. An ihrem Haar gab es nichts auszusetzen, wußte Agnes. Es war exzellentes Haar, das bestrebt zu sein schien, eine Art Gegengewicht zum Körper zu bilden. Es glänzte, spaltete sich nie und zeichnete sich immer durch makelloses Verhalten aus, abgesehen von der Tendenz, Kämme zu fressen.
»Kämme zu fressen?« fragte Vlad und wickelte sich die Strähne um den
Finger.
»Ja, es…«
Er kann deine Gedanken lesen.
Vlad wirkte so verwirrt wie jemand, der versucht, ein Geräusch in der
Ferne zu identifizieren.
»Du… kannst Widerstand leisten, nicht wahr?« sagte er. »Ich habe dich beobachtet, als Lacci auf dem Piano spielte. Was man so spielen nennt. Hast du vielleicht Vampirblut in dir?«
»Was? Nein!«
»Nun, es ließe sich arrangieren, haha.« Vlad lächelte. Agnes vermutete, daß dieses Lächeln ansteckend wirkte, aber das galt auch für Masern. Es füllte ihre unmittelbare Zukunft. Etwas strömte ihr entgegen, stülpte sich rosarotem Flaum gleich über sie und teilte ihr mit: Es ist alles in Ordnung, alles ist in bester Ordnung, du brauchst dir überhaupt keine Sorgen zu machen…
»Sieh dir nur Frau Ogg dort drüben an«, sagte Vlad. »Sie grinst wie ein Honigkuchenpferd. Und angeblich ist sie eine der mächtigsten Hexen in den Spitzhornbergen. Es ist fast betrüblich, nicht wahr?«
Sag ihm, du weißt, daß er Gedanken lesen kann, befahl Perdita.
Wieder dieser verwunderte, nachdenkliche Blick.
»Du kannst…«, begann Agnes.
»Nein, nicht in dem Sinne.« Vlads Antwort kam der Frage zuvor. »Man
lernt nur, Personen zu verstehen und gewisse Zeichen zu deuten. Ja, man lernt eine Menge.« Er streckte sich auf dem Sofa aus, ließ ein Bein über die Armlehne baumeln und musterte Agnes nachdenklich.
»Die Dinge werden sich ändern, Agnes Nitt«, fuhr er fort. »Mein Vater hat recht. Warum in dunklen Schlössern herumschleichen? Warum sich schämen? Wir sind Vampire. Beziehungsweise Vampyre. Vater legt großen Wert auf die neue Schreibweise. Er meint, sie steht für einen klaren Bruch mit einer dummen und abergläubischen Vergangenheit. Wie dem auch sei: Es ist nicht unsere Schuld. Wir sind als Vampire geboren.«
»Ich dachte, man wird…«
»Du dachtest, man wird durch einen Biß zum Vampir? Meine Güte, nein. Oh, wir können Leute in Vampire verwandeln – das ist ganz einfach. Aber welchen Sinn hat das? Wenn du… Was ißt du gern? Oh, ja… wenn du Schokolade ißt, möchtest du bestimmt nicht, daß daraus eine weitere Agnes Nitt wird. Dann bliebe weniger Schokolade für dich übrig.« Er seufzte. »Ach, wohin wir uns auch wenden – überall stoßen wir auf Aberglauben. In Wirklichkeit bist du schon seit zehn Minuten hier bei uns, und dein Hals weist überhaupt keine Bißspuren auf, nur ein wenig Seife, die du nicht abgewaschen hast.«
Aus einem Reflex heraus hob Agnes die Hand zum Hals. »Wir bemerken solche Dinge«, sagte Vlad. »Und jetzt sind wir hier, um sie zu bemerken. Oh, Vater ist auf seine Art sehr einflußreich und außerdem ein fortschrittlicher Denker, aber ich glaube, selbst er erkennt nicht alle Möglichkeiten. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber freue, daß
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