Ruhig Blut!
sagte Jason.
»Es ist das Tor des Königs «, protestierte Shawn. »Und er ist schon böse auf mich, weil ich diese Woche den Abort nicht geleert habe…«
»Er kann Mama die Rechnung schicken.«
»Das ist aufwieglerisches Gerede, Jason! Dafür könnte ich dich ver…
Ich meine, ich könnte dich… Mama hätte bestimmt was dagegen, daß du
so redest!«
»Wo ist der König überhaupt?« fragte Darren Ogg. »Hat er es sich ir-
gendwo gemütlich gemacht, während Mama al es regelt und wir beschos-
sen werden?«
»Du weißt doch, wie schnel er sich erkältet«, erwiderte Shawn. »Be-
stimmt denkt er über die gegenwärtige Situation nach und…«
Er unterbrach sich, als ein seltsames Geräusch über die Landschaft
hallte. Es zeichnete sich durch eine rauhe, ursprüngliche Qualität aus –
so hörte sich ein Tier an, das Schmerzen litt und entschlossen war, die
Pein so schnel wie möglich weiterzugeben. Die Männer sahen sich ner-
vös um.
Verence stürmte zum Schloß. Shawn erkannte ihn nur an den Sticke-
reien auf dem Nachthemd und den flauschigen Pantoffeln. Er hielt ein
langes Schwert in beiden Händen, hoch über den Kopf erhoben, und
rannte zum Tor der Festung, gefolgt vom Schweif seines eigenen Schreis.
Das Schwert traf auf das Holz. Shawn hörte, wie das große Portal erzit-
terte.
»Er ist übergeschnappt!« rief Darren. »Wir müssen den armen Kerl in
Sicherheit bringen, bevor er von Pfeilen getroffen wird!«
Zwei Männer eilten zum König, der horizontal auf dem Tor stand und
versuchte, das Schwert aus dem Holz zu ziehen.
»Hör mal, Eure Maje… Aargh!«
»Nimm das, du großer Schwachkopf!«
Darren taumelte zurück und hob eine Hand an sein Gesicht.
Kleine Gestalten folgten dem König wie eine Art Plage über den Hof.
»Auf sie drauf!«
»Wir haun alle um!«
»Wir sind die Größten!«
Ein weiterer Schrei erklang, als Jason versuchte, den Enthusiasmus des
Monarchen zu dämpfen, und dabei feststel te: Ein königlicher Schädel
war dazu geeignet, den Nasen anderer Leute eine interessante flache
Form zu geben.
Um sie herum bohrten sich Pfeile in den Boden.
Shawn wandte sich an den Großen Dummen Dummkopf. »Sie werden
al e erschossen, ob betrunken oder nicht!« rief er, um sich trotz des
Lärms verständlich zu machen. »Du kommst mit mir!«
»Was du vorhaben?«
»Wir reinigen den Abort!«
Der Troll wankte ihm nach, als Shawn um das Schloß herumeilte und
sich dem Glockenturm näherte, der mit duftender Pracht in den Nacht-
himmel emporragte. Er war der Fluch von Shawns Leben, denn al e
Garderoben der Festung standen damit in Verbindung. Zu seinen Auf-
gaben gehörte es, den zentralen Abort im Turm zu leeren und seinen
Inhalt zu den Gruben im Garten zu bringen, wo Verences Kompostie-
rungsbemühungen ihn al mählich in, nun, Lancre verwandelten.* Doch
jetzt wohnten weitaus mehr Personen im Schloß als früher, und Shawns
wöchentliche Arbeit mit Schaufel und Schubkarre war nicht mehr so
friedlich und einsam wie früher; häufig kam es dabei zu unliebsamen
Unterbrechungen. Während der letzten Wochen waren die Dinge im
wahrsten Sinne des Wortes liegengeblieben – sie hatten sich sogar aufge-
türmt, um ganz genau zu sein –, aber konnte man denn von ihm erwar-
ten, daß er sich um alles kümmerte?
Er winkte den Großen Dummen Dummkopf zur Tür des Turms.
Glücklicherweise haben Trolle kaum Interesse an organischen Gerüchen,
obwohl sie verschiedene Arten von Kalkstein allein an ihrem Duft er-
kennen können.
»Ich möchte, daß du die Tür öffnest, wenn ich dich dazu auffordere«,
sagte Shawn, riß einen Streifen von seinem Hemd und wickelte ihn um
einen Pfeil. Dann griff er in die Tasche und suchte nach einem Streich-
holz. »Und wenn du die Tür geöffnet hast«, fügte er hinzu, als der Stoff
zu brennen begann, »läufst du ganz schnel weg, hast du verstanden?
Gut. Und jetzt – öffne die Tür!«
Der Große Dumme Dummkopf zog am Knauf. Es rauschte leise, als
die Tür aufschwang.
»Lauf!« rief Shawn. Er spannte den Bogen, zielte und ließ die Sehne
los.
Der brennende Pfeil sauste durch die offene Tür und verschwand in
der stinkenden Dunkelheit. Einige Herzschläge lang passierte nichts.
Dann explodierte der Turm.
Es geschah recht langsam. Grünblaues Licht wuchs Stockwerk um
Stockwerk nach oben, auf fast gemütliche Art, und stieß dabei in jeder
Etage Mauersteine nach außen, was einen interessanten funkensprühen-
den Effekt
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