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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascale Hugues
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Im Halbkreis, bedrückt, die Augen auf den Boden gesenkt, kämpfen die Deutschen von heute mit der mühsamen Bewältigung ihrer Vergangenheit. Man legt eine Rose nieder. Sagt ein paar freundliche Worte zum Gedächtnis «unserer jüdischen Mitmenschen».
    Das übliche Personal: die majestätische Schwadron der Müllwagen, die frühmorgens anrollt, sämtliche Scheinwerfer angeworfen, während die Rundumleuchte mit ihrem langen orangefarbenen Strahlen über die verschlafene Straße wischt. Später dann die Straßenfeger, im Winter die Schneeräumer und immer wieder der Briefträger, der mit der Nonchalance eines Playboys seinen Handwagen vor sich herschiebt. Ganz im Gegensatz zu seiner Urlaubsvertretung, die sich, in den blau-gelben Parka der Deutschen Post gezwängt, völlig ihrer Aufgabe hingegeben mit beiden Händen an ihr Gefährt klammert. Mein Favorit aber ist der Afrikaner vom Montag, ein in der winzigen Kabine seines Straßenstaubsaugers völlig zusammengekrümmter Riese. Ein Sisyphos, zum Einsammeln der Hundehaufen auf dem Gehsteig verdammt. Einer nach dem andern flutscht in den langen Plastikrüssel seines Saugmobils. Die Passanten machen einen großen Bogen und eine angeekelte Miene, wenn sie ihm begegnen. Er aber macht jedes Mal mit einem höflichen Kopfnicken den Weg frei. Dann die DHL -Lastwagen, die Vertreter, die Zeugen Jehovas und andere Kolporteure des rechten oder wahren Weges, an Halloween als Vampire verkleidete Kindergruppen und am Sankt-Martins-Abend der Laternenumzug, die rumänischen Akkordeonisten mit den goldenen Schneidezähnen, die sonntagnachmittags unter den Balkonen ein Ständchen darbringen, die Sprayer, die nachts ihre Hieroglyphen und ein strahlendes
Fuck
!, ein wütendes
Nazis raus
! an eine Fassade werfen, um den Hauseigentümern am nächsten Morgen einen unflätigen Aufschrei zu entlocken, die Reisenden mit ihren Koffern, deren peinigende Rollen den Schlaf der Anwohner zerhacken, die dünne Stimme des Pakistaners, der «Werbung» durch die Gegensprechanlage säuselt, damit man ihm die Tür öffnet. An ihrem einen Ende scharen sich ein paar Läden um den U-Bahn-Eingang, dem am späten Nachmittag manchmal eine traurige Violinenweise entweicht, ein Copyshop, ein Laden für Snowboarder, einer für Handwerkszeug, Schrauben und Normteile für Gewerbekunden, ein Café, in dem sich sonntagnachmittags um fünf die Berliner Rentnerpaare zu einem Eisbein und einem Bier zusammenfinden, ein Schülerladen, und das war’s. An ihrem anderen Ende ein Restaurant, das mehrmals die Küche gewechselt hat: griechisch, australisch-asiatisch, italienisch. Weder Post noch Zeitungskiosk noch Bäckerei oder Supermarkt, keines dieser Kettenglieder der täglichen Versorgung. Eine reine Wohnstraße.
    Auch meine Straße hat ihren Tratsch: über den jahrelang in den letzten Stock der Nummer  3 zurückgezogenen Grotesktänzer in schwarzen Strumpfhosen, der nach seinem Tod auf dem Parkett die Zeichnung seiner Tanzschleifen hinterließ. Über den Selbstmörder, der sich in der Badewanne die Venen geöffnet hatte. Über den Tischler aus der Nummer  15 , der seine Frau Ende der Siebziger in seine Kellerwerkstatt lockte und ihr auf der Werkbank den Kopf absägte. Es gab sogar einen Artikel in der
Morgenpost
darüber. Über die WG , die wochenlang vergaß, den Müll in den Hof hinunterzubringen, bis die Kartoffeln meterlange Keime bildeten.
     
    Ich weiß im Grunde nicht viel über meine Nachbarn. Wer ist dieses Paar, das oft die Straße hinaufgeht? Er schwarz, groß, steif. Sie aufgehelltes Blond, winzig, gibt ihm die Hand. Sie klammern sich aneinander wie Hänsel und Gretel im großen dunklen Wald. Und wer ist dieser untersetzte Mann mit seinem immer gleichen tannengrünen Federhut, der das Haus nie ohne seinen Schäferhund verlässt? Und diese Alte, die jeden Morgen mit ängstlichen Trippelschritten zur langwierigen Expedition in Richtung Supermarkt aufbricht? Und warum habe ich den schönen Mann aus der Nummer  25 schon wochenlang nicht mehr gesehen? Ist er mit seinem Sportwagen verreist? Das Paar mit seinen drei Kindern in der Nummer  5  … Neuzugezogene? Dieser kleine Herr, der seinen Filzhut lüftet, wenn er mir begegnet, und mich mit seiner altmodischen Geste jedes Mal dahinschmelzen lässt. Ein Osteuropäer – nehme ich an –, in den sechziger Jahren hierher emigriert. Auch die Identität dieses selbsternannten Polizisten würde ich gerne kennen, der schon zweimal einen Sticker «Scheiße geparkt»

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