Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)
Spiegel und den Marmorwänden.»
Lilli Ernsthaft legt ihre ganze Verachtung in dieses «des Berliner Nordens». Der Norden, das ist der Wedding, das Arbeiterquartier von Berlin, wohin diese Großbourgeoise aus dem eleganten Südwesten wohl nie einen Fuß gesetzt hätte, hätte sich das Jüdische Krankenhaus nicht dort befunden. Aber Oskar Lohmann, der Eigentümer, scheint auf keinen Fall einen Bankkredit aufnehmen zu wollen. Und eine Renovierung hätte sowieso den finanziellen Ruin bedeutet, da die in dieser Zeit des großen Wohnungsmangels geltende Mietpreisbindung ihm untersagte, die Preise wesentlich zu erhöhen. Ob renoviert oder nicht, die Einnahme blieb dieselbe.
Ich weiß nicht, ob Lilli Ernsthaft von dem langen Prozess wusste, dessen Gegenstand die Nummer 3 nach dem Krieg war und der auch die Investitionen in das Haus behinderte. Im Landesarchiv Berlin wird ein intensiver Briefwechsel darüber aufbewahrt. 1950 reichen die Erben eines einflussreichen jüdischen Bankiers einen Rückerstattungsanspruch ein. Vor ihrer Emigration Ende der dreißiger Jahre verkauften die Erben das Gebäude an Ida Lohmann und ihren Sohn, den Kaufmann Oskar Lohmann. Eine Zwangsversteigerung, wie es viele gab in meiner Straße. Die jüdischen Eigentümer waren gezwungen, zu einem Spottpreis zu verkaufen. Der Anwalt der Erbengemeinschaft klagt: «Das Rechtsgeschäft wurde durch Drohung und durch Zwang veranlasst! Es wäre ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus nicht abgeschlossen worden!» Er verlangt eine Ausgleichszahlung. Der Anwalt von Oskar Lohmann weist dies zurück und behauptet, sein Mandant hätte einen angemessenen Kaufpreis bezahlt. In dem Duell, das sich die beiden Anwälte nun liefern, fallen ein paar Hiebe und Stiche, die das Klima der Epoche deutlich machen:
5 . April 1951 , der Rechtsanwalt von Oskar Lohmann: «Die Gegenseite mag zugestehen, dass das Vermögen der Erbengemeinschaft reines Spekulationsvermögen war, das zum wesentlichen Teil in der Inflation unter Ausnutzung der Notlage Deutscher erworben und das dann für Zwecke des jüdischen Bankhauses belastet, d.h. wirtschaftlich ausgenutzt wurde.» Am 4 . Mai 1951 schlägt der Anwalt der Erbengemeinschaft wütend zurück: «Die Vorwürfe der Grundstückspekulation und der Ausnutzung der Notlage der Bevölkerung, die zu sehr an die Propaganda des überwundenen Nazi-Regimes erinnern, werden scharf zurückgewiesen.»
Es folgen ganze Pakete von Rechnungen und Gutachten zur Belegung der «erheblichen Bauarbeiten, die von Herrn Oskar Lohmann durchgeführt sind, um das Haus vor gänzlichem Verfall zu schützen. Es soll festgestellt werden, welche Wertsteigerung das Grundstück nº 3 erfahren hat.» Jahrelang stöbert Oskar Lohmann nach Rechnungen, fordert Belege von Bauunternehmen. Er stellt minutiöse Listen der Materialkosten auf: die Anzahl der Mauersteine, Kubikmeter Mörtel, Zement und Gips. Die Kilogramm Rohrnägel. Er berechnet selbst die Schuttabfuhr, vergisst nicht die Anzahl Tageswerke der Maurer, Zimmerer und Bauarbeiter. Er gesteht sogar, während der Berliner Blockade, wo es an allem fehlte, auf dem Schwarzmarkt märchenhafte Summen bezahlt zu haben, um sich Baustoff zu beschaffen.
Der heutige Besitzer des Hauses erinnert sich, dass sein Großvater ihm am Tisch vom Streit der beiden Anwälte erzählte. «Der Herr Lohmann brauchte nur einen einzigen Ring vom Finger zu ziehen, um das Haus kaufen zu können», klagte der Anwalt der Erbengemeinschaft, um in Erinnerung zu rufen, dass der Preis ein Bruchteil des Verkehrswerts war. «Mit einem Pappkoffer nach Berlin gekommen und ganze Straßenzüge gekauft!», erwiderte jener von Oskar Lohmann, der ohne jeden Skrupel das Gespenst des jüdischen Spekulanten heraufbeschwor, der von der Inflation profitierte, um sich die Taschen vollzustopfen. Mehr war aus dem Großvater nicht herauszuholen: «Er war nicht der Typus, der nach einem langen Abend und drei Flaschen Rotwein wie ein Wasserfall von der Vergangenheit erzählte. Er gab nur kurze biographische Fakten. Er war kein Nazi gewesen. Das Haus war ihm angeboten worden. ‹Warum soll ich das nicht machen?›, sagte er. Für meinen Großvater», sagt sein Enkel, «war das Haus eine nüchterne Kapitalanlage. Er hatte keine emotionale Bindung daran. Das musste laufen, halbwegs vernünftige Mieten einbringen, der Rest war ihm egal. In den letzten 15 Jahren seines Lebens ist er nicht mehr in dem Haus gewesen.»
Lilli Ernsthaft wird die verspätete
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