Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)
hundert Songs gibt es, die mit ihrem Titel auf eine Straße, eine Avenue, einen Boulevard oder eine Lane anspielen. Nur unsere fehlt. Ich finde unsere Musiker wirklich undankbar.
Edgar Froese und David Bowie, merkte ich nach und nach, sind nicht die einzigen Berühmtheiten, die in meiner Straße für etwas Glamour gesorgt haben. Eine Stufe darunter, aber immerhin: Der Schauspieler Otto Sander und Romy Haag, die Geliebte und transsexuelle Muse von David Bowie, drehten 1979 in der Nummer 12
Plastikfieber
, einen kleinen skurrilen Szenefilm, wohlgemerkt den ersten Videofilm auf deutschen Bildschirmen. Helmut Wietz, damals Nachwuchsregisseur, heute «Fossil aus dem TV -Geschäft», wie er sich selbst beschreibt, eröffnete mit unserer Straße die Reihe eines revolutionären TV -Programms.
Plastikfieber
erzählt den Aufstieg der Hauswartsfrau Clarissa (Romy Haag), Erbin eines Schrottplatzes, zum Fernsehstar. Otto Sander spielt Wilfried, Besitzer einer Imbissbude und ehemaliger Student der Bildhauerei, der seine Würstchen und Hähnchen mit Hormonen anreichert und als Schönmacher verkauft. Aus Clarissa will er die «Nachschöpfung der Venus von Milo» machen. Als Clarissa zu Beginn des Films in rosa Pantoffeln und mit Lockenwicklern auf dem Kopf die Tüllgardine ihrer Loge zurückschiebt, ist unsere Straße gut zu erkennen.
Und das ist noch nicht alles!
Otto – der Film
wurde vor der Apotheke in der Nummer 26 gedreht. Während der Dreharbeiten zog sich Otto Waalkes tagsüber in die Loge der Hauswartsfrau zurück. «Bei uns in der Küche hat er gesessen», sagt sie, als wäre er ihr erst gestern erschienen. «Hier wurde er geschminkt, und er hat meinen Kaffee getrunken.»
An der Fassade entlang wurden große Holztische aufgestellt. Da saß Otto und aß unter den faszinierten Augen der Kinder aus dem Viertel, die sich ans Vorgartenmäuerchen scharten, Erbsensuppe. Vor der Tür wurde eine Bushaltestelle errichtet, und meine Nachbarn wurden als Statisten engagiert. Da es sich um keine direkte Durchgangsstraße handelte, war der Verkehr hier sehr dünn, wie sich Edgar Froese erinnert: «Aufgrund der ruhigen Lage und neutralen Kulisse drehte man dort mindestens fünf bis sechs Mal im Jahr Filme oder TV -Serien, in denen Apotheken oder Apothekeneinbrüche eine Rolle spielten. ‹Oft haben wir mit den Gagen als Kulisse in einer Nacht mehr verdient als mit unserem Wochenumsatz›, wusste eine auch sonst sehr redselige Angestellte zu berichten.»
Die Hauswartsfrau lässt sich nicht lange bitten, das kleine Album mit den Erinnerungsfotos und dem hellblauen Plastikdeckel hervorzuholen. Man sieht darin Otto, mit Hut, langen dünnen gelben Haaren und hochgekrempelten Jeans, der die Hauswartsfrau, im blauen Kittel und mit Dauerwelle, um die Schultern fasst. Sie strahlt: «Ganz nett und freundlich war er.» Etwas später kam der Film im Fernsehen. Aber er war so geschnitten worden, dass unsere Straße nur einige winzige Minuten lang auftaucht.
Da ist eine doch beachtliche Schar von Berühmtheiten zusammengekommen, dachte ich: Edgar Froese, David Bowie, Iggy Pop, Romy Haag, Otto Sander, Otto Waalkes, Walter Kollo und Wilhelm Reich … Und dazu Lilli Ernsthaft, John Ron, Miriam Blumenreich, Liselotte Bickenbach, Ursula Krüger … und wir alle, die heutigen Bewohner, «all diese durch Zufall zusammengewürfelten Menschen», schrieb ich Edgar Froese, «die irgendwie, auch wenn es absurd klingt, doch alle zusammenpassen. Und jetzt bin ich ganz gerührt.»
Edgar Froese hatte die Erklärung für dieses unsichtbare Band parat, das uns alle miteinander zu verknüpfen scheint. «Es gibt keinen Zufall», sagte er. Er verwarf die Chaostheorie und die simple Evolutionstheorie von Darwin gleich mit: «Wenn Sie den Klebstoff für das suchen, das mit diesem Thema zusammenhängt, lesen Sie bitte alles über morphogenetische Felder – mal mit Wiki anfangen und sich dann weiter vorarbeiten. Unsere Straße hat ein solches Feld in bestimmter Qualität.»
Also machte ich mich auf, den morphogenetischen Weg durch meine Straße zu finden. Ich erfuhr, dass es einen Mechanismus gibt, der bewirkt, dass eine menschliche Gruppe, die sich bestimmte psychologische oder organische Verhaltenseigenschaften angeeignet hat, diese synchron, wie durch Telepathie, auf andere Mitglieder derselben Art überträgt. Dass die morphogenetischen Resonanzfelder nicht nur deren genetisch-biologische Pläne enthalten, sondern auch ihre psychische Natur.
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