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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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selbst, der andere von einem toten weißen Hund.
    Mein Zimmer hob ich mir bis zum Schluss auf. Von der Decke hingen Erinnerungen an Bindfäden. Bücher reihten sich an den Wänden, türmten sich zu hohen Stapeln und lehnten am Schreibtisch. Der ganze Raum roch abgestanden und unbenutzt; der Junge, der hier aufgewachsen war, war lange nicht mehr da gewesen.
    Jetzt würde ich hier wohnen. Ein einzelner Mensch, der in diesem riesigen Haus herumpolterte und darauf hoffte, dass der Rest seiner Familie wieder auftauchte.
    Doch bevor ich in der Dunkelheit nach dem Lichtschalter tastete, hörte ich draußen Motorengeräusche.
    Ich war nicht mehr allein.
     
    »Willst du hier ’ne Landebahn beleuchten?«, fragte Isabel. Sie sah so unwirklich aus, wie sie in ihrer seidenen Schlafanzughose und einem gefütterten weißen Mantel mit Pelzkragen mitten im Wohnzimmer stand. Ich hatte sie noch nie ungeschminkt gesehen, so wirkte sie viel jünger. »Man sieht das Haus ja schon aus zehn Meilen Entfernung. Gibt es hier irgendeine Lampe, die du nicht angemacht hast?«
    Ich antwortete nicht. Ich versuchte immer noch zu begreifen, wie es kam, dass Isabel hier um vier Uhr morgens aufkreuzte, und zwar mit einem Jungen im Schlepptau, den ich das letzte Mal gesehen hatte, als er sich auf dem Küchenfußboden in einen Wolf verwandelte. Jetzt stand er da, in einem abgewetzten Pulli und Jeans, die an ihm herunterhingen, als gehörten sie jemand anderem. Die Haut an seinen nackten Füßen wirkte erschreckend bläulich und seine Finger hatte er lässig in die Hosentaschen gehakt, als wäre es ihm völlig egal, wie furchtbar geschwollen und verfärbt sie waren. So wie er Isabel ansah und wie sie, ganz untypisch, vermied, ihn anzusehen, schien es fast, als wäre da irgendetwas zwischen ihnen. Aber das war ja wohl ausgeschlossen.
    »Das sind Frostbeulen«, sagte ich zu dem Typen, denn das war das Einzige, was ich in dieser Situation überhaupt sagen konnte, ohne viel nachzudenken. »Du solltest dringend dafür sorgen, dass deine Finger wieder warm werden, sonst wirst du das nachher bitter bereuen, glaub mir. Isabel, das hättest du doch merken müssen.«
    »Klar, ich bin doch nicht blöd«, entgegnete Isabel. »Aber wenn meine Eltern ihn bei uns zu Hause erwischt hätten, wäre er jetzt tot und das würde er wohl noch ein bisschen mehr bereuen. Darum dachte ich mir, die relativ geringe Chance, dass sie es mitkriegen, wenn mein Auto mitten in der Nacht nicht mehr vor dem Haus steht, ist immer noch die angenehmere Variante.« Falls Isabel merkte, wie ich schlucken musste, beachtete sie es nicht. »Übrigens, das ist Sam. Der Sam.« Ich brauchte einen Augenblick, bis ich kapierte, dass sie jetzt mit dem arroganten Frostbeulentypen redete.
    Der Sam. Ich fragte mich, was sie ihm wohl über mich erzählt hatte. Ich sah ihn an. Wieder beschlich mich das Gefühl, dass ich ihn kannte. Na ja, nicht richtig kannte, wie jemanden, dem man tatsächlich schon mal begegnet war, sondern mehr, als träfe man jemanden, der aussah wie ein Schauspieler, auf dessen Namen man gerade nicht kam.
    »So, dann hast du jetzt also hier das Sagen, ja?«, erkundigte er sich mit einem Grinsen, das mir ziemlich herablassend vorkam. »Ich bin Cole.«
    Das Sagen. Tja, sah ganz so aus.
    »Hast du mitgekriegt, ob sich schon irgendeiner von den anderen Wölfen verwandelt hat?«, fragte ich.
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich dachte eigentlich, dass es auch für mich noch zu kalt zum Verwandeln wäre.«
    Der Anblick seiner grotesk verfärbten Finger brachte mich so sehr aus dem Konzept, dass ich erst mal in die Küche ging und ein Fläschchen Ibuprofen holte. Ich warf es Isabel zu, die es zu meiner Überraschung mühelos auffing. »Das liegt daran, dass du gerade erst gebissen wurdest. Ich meine, letztes Jahr. Anfangs hat es gar nicht so viel mit der Temperatur zu tun, wenn man sich verwandelt. Das bleibt jetzt erst mal etwas … unvorhersehbar.«
    »Unvorhersehbar«, wiederholte Cole.
    Sam, nein, bitte, nicht schon wieder, hör doch auf- ich blinzelte kurz und die Stimme meiner Mutter verschwand, zurück in die Vergangenheit, wo sie hingehörte.
    »Wofür sind die? Für ihn?« Isabel hielt die Tabletten hoch und deutete mit dem Kinn auf Cole. Wieder kam es mir vor, als wäre da irgendwas zwischen den beiden.
    »Ja. Es wird höllisch wehtun, wenn seine Hände wieder warm werden«, erklärte ich. »Damit bleibt es einigermaßen erträglich. Das Badezimmer ist da drüben.«
ISABEL
    Cole

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