Ruht das Licht
nippte sie ein Weilchen an ihrem Kaffee und zog die Nase kraus. »Erstens werden sie dich ganz bestimmt nicht ewig von ihr fernhalten. Ihr zwei seid ja praktisch erwachsen und außerdem müssten sie doch wissen, dass Grace es mit dir ziemlich gut getroffen hat. Und zweitens ist es bestimmt nur eine Grippe. Was war denn los mit ihr?«
»Sie hatte Fieber«, erklärte ich. Es überraschte mich, wie ruhig meine Stimme klang.
Karyn sah mich prüfend an. »Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Aber jeder hat doch mal Fieber, Sam.«
»Ich hatte Meningitis. Bakterielle Meningitis«, sagte ich leise.
Ich hatte es bis heute nie laut ausgesprochen und jetzt, da ich es getan hatte, war es wie eine Erlösung. Als würde ich meine Angst, Grace’ Krankheit könnte etwas Gefährlicheres als eine gewöhnliche Erkältung sein, dadurch im Zaum halten, dass ich sie eingestand.
»Wie lange ist das her?«
Ich rundete auf den nächsten Feiertag auf. »Weihnachten.«
»Ach, dann ist es doch nicht mehr ansteckend«, winkte sie ab. »Ich glaube nicht, dass Meningitis eine von diesen Krankheiten ist, die einen noch Monate später erwischen können. Wie geht es ihr denn heute?«
»Auf ihrem Handy hat sich heute Morgen nur die Mailbox gemeldet«, sagte ich und bemühte mich, nicht allzu selbstmitleidig zu klingen. »Die waren wirklich wütend gestern Nacht. Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihr das Handy weggenommen haben.«
Karyn verzog das Gesicht. »Sie kommen schon drüber weg. Versuch doch mal, die Angelegenheit auch von ihrem Standpunkt aus zu betrachten.«
Sie verlagerte die ganze Zeit das Gewicht der Bücher auf ihrem Arm hin und her, damit sie nicht runterfielen, also stellte ich meinen Tee hin und nahm sie ihr ab. »Tu ich doch. Das ist ja das Problem.« Ich ging rüber in die Ecke mit den Biografien und sortierte ein falsch eingeordnetes Buch über Prinzessin Diana ins Regal ein. »An ihrer Stelle wäre ich auch fuchsteufelswild. Die müssen mich doch für irgend so einen Mistkerl halten, der ihre Tochter ins Bett gekriegt hat und sie sowieso bald fallen lässt wie eine heiße Kartoffel.«
Sie lachte. »Entschuldige. Ich weiß, für dich ist das nicht so lustig.«
Grimmiger als geplant entgegnete ich: »Ach, eines Tages finde ich das auch zum Totlachen, wenn wir erst mal verheiratet sind und ihre Eltern nur noch zu Weihnachten sehen.«
»Dir ist schon klar, dass die meisten Jungs so was nicht sagen würden, oder?«, fragte Karyn. Sie nahm die Inventurliste mit hinter die Verkaufstheke und stellte ihren Kaffee neben der Kasse ab. »Weißt du, wie ich Drew dazu gekriegt habe, mir einen Antrag zu machen? Mit ’nem Elektroschocker, jeder Menge Alkohol und dem Homeshoppingkanal.« Sie sah mich so lange an, bis ich über ihren Witz lächelte. »Was sagt denn Geoffrey zu der Geschichte?«
Ich brauchte einen Augenblick, bis mir aufging, dass sie über Beck redete; ich konnte mich überhaupt nicht mehr daran erinnern, wann ich seinen Vornamen zum letzten Mal gehört hatte. Und gleich darauf traf mich die Erkenntnis, dass ich nun würde lügen müssen. »Der weiß es noch nicht. Er ist unterwegs.« Ich stieß die Worte zu hastig hervor, hatte es zu eilig, die Lüge hinter mich zu bringen. Schnell drehte ich mich zum Regal um, damit sie mein Gesicht nicht sah.
»Ach, stimmt ja. Ich hatte ganz vergessen, dass er auch Kunden in Florida hat«, sagte Karyn. Ich blinzelte, ganz überrascht von Becks Durchtriebenheit. »Ach, Sam, ich glaube, ich mache auch einen Buchladen in Florida auf, für den Winter. Geoffrey hat wirklich recht. Minnesota im März ist einfach keine gute Idee.«
Ich hatte keine Ahnung, was für eine Geschichte Beck Karyn aufgetischt hatte, um sie zu überzeugen, dass er jeden Winter in Florida verbrachte. Aber ich war ziemlich beeindruckt, Karyn erschien mir nicht gerade leichtgläubig. Irgendwas musste er ihr natürlich erzählt haben – er war ja schließlich oft genug hier gewesen, erst nur als Kunde und später, als ich anfing, hier zu arbeiten, und bevor ich selbst den Führerschein hatte, auch als mein Chauffeur. Karyn musste seine Abwesenheit im Winter aufgefallen sein. Und was mich noch mehr beeindruckte, war die Selbstverständlichkeit, mit der sie seinen Vornamen aussprach. Sie hatte ihn so gut gekannt, dass ihr das »Geoffrey« leicht über die Lippen ging, jedoch nicht gut genug, um zu wissen, dass jeder, der ihm wirklich nahestand, ihn bei seinem Nachnamen rief.
Mir wurde klar, dass die
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