Ruht das Licht
ziemlich schlechte Zeichnung von so ’ner Schnitte in Highschool-Uniform gefunden. Wirklich sehenswert.«
»Warum redest du eigentlich mit mir?«
Klar konnte ich mir vorstellen, was sie meinte, aber ich erwiderte bloß: »Weil du mich angerufen hast.«
»Ist es, weil du mit mir ins Bett willst? Ich nämlich nicht mit dir. Nichts für ungut, aber ich will wirklich nicht. Ich will noch warten und so, die Leier. Also, wenn das der Grund ist, warum du mit mir redest, kannst du direkt auflegen.«
Ich legte nicht auf. Keine Ahnung, ob das ihre Frage beantwortete.
»Bist du noch da?«
»Bin ich.«
»Also, krieg ich vielleicht irgendwann noch mal ’ne Antwort?«
Ich schob mein leeres Milchglas vor mir hin und her.
»Ich brauche halt auch mal jemanden zum Reden«, sagte ich. »Und mit dir rede ich eben gerne. Eine bessere Antwort hab ich nicht zu bieten.«
»Na ja, als Reden würde ich das, was wir zwei immer machen, wenn wir uns sehen, nicht unbedingt bezeichnen«, bemerkte sie.
»Aber wir haben doch geredet«, beharrte ich. »Ich hab dir von meinem Mustang erzählt. Das war eine ziemlich tiefschürfende Unterhaltung über ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.«
»Dein Auto.« Isabel klang nicht überzeugt. Sie war kurz still, dann meinte sie: »Du willst also reden? Na gut. Dann rede. Erzähl mir irgendwas, was du noch nie jemandem erzählt hast.«
Ich dachte einen Moment nach. »Schildkröten haben das zweitgrößte Gehirn von allen Tieren auf diesem Planeten.«
Isabel brauchte nur eine Sekunde, um zu reagieren. »Stimmt nicht.«
»Ich weiß. Darum hab ich das ja auch noch nie jemandem erzählt.«
Am anderen Ende der Leitung hörte ich ein Geräusch, als würde sie versuchen, ein Lachen zu unterdrücken. Oder sie hatte einen Asthmaanfall. »Erzähl mir was über dich, was du noch nie jemandem erzählt hast.«
»Wenn ich das mache, machst du es dann auch?«
Sie klang skeptisch. »Ja.«
Ich fuhr die Umrisse des Eddingmädchens auf dem Mauspad nach und überlegte. Telefonieren war, wie sich mit geschlossenen Augen zu unterhalten. Man war ehrlicher und traute sich mehr. Weil es fast so war, als würde man mit sich selbst reden. Darum sang ich meine neuen Songs auch immer mit geschlossenen Augen. Ich wollte nicht wissen, wie das Publikum sie fand, bevor ich fertig war. Schließlich sagte ich: »Ich hab mein ganzes Leben lang versucht, nicht so zu werden wie mein Vater. Nicht weil er so schrecklich ist, sondern weil er so imposant ist. Ich kann nichts tun, absolut nichts, was ihm gerecht werden würde.«
Isabel schwieg. Vielleicht wartete sie ab, ob ich noch mehr sagen würde. »Was macht dein Vater?«, fragte sie dann.
»Erst will ich von dir was hören.«
»Nein, ein bisschen mehr musst du schon noch sagen. Du wolltest doch reden. Du sagst was, ich antworte und dann sagst du wieder was – so läuft das. Das ist eine der größten Errungenschaften der Menschheit. Auch Konversation genannt.«
Im aktuellen Fall hätte ich auf diese Errungenschaft mittlerweile gut verzichten können. »Er ist Wissenschaftler.«
»So ’n richtiger Einstein?«
»Verrückt genug ist er auf jeden Fall«, erwiderte ich. »Und ziemlich gut auch. Aber jetzt mal im Ernst, ich würde diese Konversation wirklich gerne auf später verschieben. Auf irgendwann nach meinem Tod zum Beispiel. Kann ich jetzt endlich was von dir hören?«
Isabel holte tief Luft, laut genug, dass ich es durch das Telefon hören konnte. »Mein Bruder ist gestorben.«
Die Worte klangen irgendwie vertraut. So, als hätte ich sie schon mal gehört, mit ihrer Stimme, aber ich wusste nicht, wann das hätte sein sollen. Als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, sagte ich: »Das hast du schon mal jemandem erzählt.«
»Aber ich hab noch nie jemandem erzählt, dass ich schuld daran bin. Zu dem Zeitpunkt, als er gestorben ist, dachten nämlich alle anderen, er wäre schon längst tot«, sagte Isabel.
»Das ergibt doch gar keinen Sinn.«
»Nichts ergibt mehr Sinn. Warum zum Beispiel unterhalte ich mich hier mit dir? Warum erzähl ich dir das alles, wo es dich doch sowieso nicht interessiert?«
Zumindest auf diese Frage hatte ich eine Antwort. »Genau darum erzählst du es mir ja.« Ich wusste, dass es so war. Wenn wir die Gelegenheit gehabt hätten, uns irgendwem anzuvertrauen, den das, was wir sagten, wirklich interessierte, hätte keiner von uns den Mund aufgekriegt. Geheimnisse lassen sich besser enthüllen, wenn sie niemanden kümmern.
Sie
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