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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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so.
SAM
    Ich hatte fast das Gefühl, die Verwandlung zweier Menschen mitzuerleben: Victor in einen Wolf und Cole in eine komplett andere Person. Ich war der Einzige, der bloß dastand und ein und derselbe blieb.
    Ich brachte es nicht über mich, Victor so allein zu lassen, also blieb ich da, ebenso wie Cole. Minuten wurden zu Stunden, während wir darauf warteten, dass Victors Zustand sich stabilisierte.
    »Man kann es nicht wieder umkehren«, sagte Victor ausdruckslos, als der Tag sich dem Ende zuneigte. Es war keine Frage.
    Ich bemühte mich, meine Anspannung nicht zu zeigen, als meine Gedanken wieder zu den Wintertagen hinüberflackerten, bevor ich zu Grace zurückgekehrt war. Wie ich auf dem Boden gelegen hatte, die Finger in die Erde gegraben, mit Schmerzen, die meinen Kopf fast zu spalten schienen. Wie ich knöcheltief im Schnee gestanden und mich erbrochen hatte, bis ich nicht mehr stehen konnte. Wie ich mich vor Fieber geschüttelt hatte, die Augen gegen das stechend grelle Licht geschlossen, und darum betete zu sterben.
    »Nein«, sagte ich.
    Coles Blick huschte zu mir, als er meine Lüge hörte. Wenn das dein Freund ist, warum sitze dann ich hier neben ihm und nicht du?, hätte ich ihn am liebsten gefragt.
    Während wir dasaßen und auf Victors nächste Verwandlung warteten, wurde die Luft, die sich durch den Türspalt hereinstahl, kühler und das Licht schwächer. Anzeichen dafür, dass es langsam Abend wurde.
    »Victor, ich weiß nicht, wie wir es schaffen sollen, dass du ein Mensch bleibst«, erklärte ich, »aber ich glaube, es ist mittlerweile kalt genug, dass du ein Wolf bleiben könntest, wenn wir dich rausbringen. Willst du das? Willst du eine Pause von diesen ständigen Verwandlungen, auch wenn du dann nicht du bist?«
    »Mein Gott, ja«, ächzte Victor so verzweifelt, dass es mir fast das Herz brach.
    »Und wer weiß«, fügte ich hinzu. »Wenn du erst mal stabiler …«
    Den Satz zu beenden, hatte keinen Sinn, weil Victor schon wieder ein Wolf war und hastig vor mir zurückwich. »Cole!«, rief ich und sprang auf. Mit einem Ruck kam Cole in Aktion und riss die Tür auf. Ein kalter Windstoß wehte herein und ließ mich zusammenzucken, dann schoss der Wolf mit eingezogenem Schwanz und angelegten Ohren hinaus in den Wald.
    Ich stellte mich zu Cole an die Tür und beobachtete, wie Victor zwischen den Bäumen hindurchjagte, bevor er in sicherer Entfernung stehen blieb und uns anstarrte. Der aufkommende Wind rüttelte an den kahlen Zweigen über seinem Kopf, sodass sie seine Ohren berührten, aber er wandte den Blick nicht von uns. Eine Weile sahen wir einander so an.
    Minuten später war er immer noch ein Wolf. Ich spürte etwas, was Erleichterung sein musste, aber es tat auch weh. Ich dachte schon an den nächsten warmen Tag und fragte mich, wie es dann weitergehen würde.
    Ich merkte, dass Cole immer noch neben mir stand; den Kopf schief gelegt, ließ er Victor nicht aus den Augen.
    Ohne nachzudenken, sagte ich: »Wenn du so deine Freunde behandelst, wenn sie dich brauchen, will ich gar nicht erst wissen, wie du mit anderen Leuten umgehst.«
    Cole lächelte nicht direkt, aber seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Ausdruck irgendwo zwischen Verachtung und Desinteresse. Er hörte nicht auf, Victor anzustarren, aber in seinen Augen lag kein Mitgefühl.
    Ich kämpfte gegen den Drang an, noch etwas zu sagen, irgendwas, was ihn wenigstens dazu bringen würde zu antworten. Ich wollte, dass die Sache mit Victor auch ihm wehtat.
    »Er hat recht«, sagte Cole neben mir, ohne mich anzusehen. »Das sollte wirklich ich sein.«
    Ich dachte zuerst, ich hätte ihn nicht richtig verstanden. Anscheinend hatte ich ihn unterschätzt.
    Aber dann fügte er hinzu: »Ich bin schließlich derjenige, der verdammt noch mal raus aus diesem Körper will.«
    Irgendwie schaffte er es doch immer wieder, mich zu überraschen.
    Ich musterte ihn und erwiderte kühl: »Und ich dachte tatsächlich zwei Sekunden lang, dass dir Victor irgendwie am Herzen läge. Dabei geht es immer nur um deine Probleme. Hauptsache, du wirst wieder ein Wolf. Du kannst es echt nicht erwarten, vor deinen eigenen Gedanken zu flüchten, was?«
    »Wenn du hier drin wärst«, Cole tippte sich an den Kopf und jetzt lächelte er wirklich, ein grausames, verzerrtes Lächeln, das auf der einen Seite seines Gesichts höher kroch als auf der anderen, »würdest du das auch wollen. Ich bin mit Sicherheit nicht der Einzige, der lieber ein Wolf ist.«
    War er

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