Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
nicht.
    Shelby hatte auch den Wolf vorgezogen. Die bedauernswerte Shelby, die kaum menschliche Züge hatte, auch wenn sie das Gesicht eines Mädchens trug.
    »Doch, bist du«, antwortete ich.
    Coles Lächeln wandelte sich zu einem tonlosen Lachen. »Du bist so was von naiv, Ringo. Wie gut hast du Beck eigentlich gekannt?«
    Ich starrte in sein herablassendes Gesicht und wollte nur, dass er verschwand. Ich wünschte, Beck hätte ihn niemals hergebracht. Er hätte Cole und Victor in Kanada lassen sollen oder wo sie auch immer hergekommen waren.
    »Gut genug, um zu wissen, dass er ein wesentlich besserer Mensch war, als du es je sein wirst«, erwiderte ich. Coles Gesichtsausdruck veränderte sich nicht; es war fast so, als drängen unfreundliche Worte gar nicht zu ihm durch. Ich biss fest die Zähne aufeinander und entspannte meine Kiefer dann wieder, wütend, dass es ihm gelungen war, mich so aufzuregen.
    »Nur weil man ein Wolf sein will, muss man noch lange kein schlechter Mensch sein«, erklärte Cole ruhig. »Und nur weil man ein Mensch sein will, heißt das nicht, dass man auch ein guter ist.«
    Ich war wieder fünfzehn und saß in meinem Zimmer in Becks Haus, die Arme um meine Beine geschlungen, und versteckte mich vor dem Wolf in mir. Schon vor einer Woche hatte mir der Winter Beck weggenommen und Ulrik würde auch bald fort sein. Dann ich, und meine Bücher und meine Gitarre würden bis zum Frühling unberührt bleiben, genau wie Becks Bücher, die verlassen dalagen. Verloren in der Selbstvergessenheit meines Wolfskörpers.
    Aber darüber wollte ich mit Cole nicht reden. »Verwandelst du dich bald?«, fragte ich.
    »Keine Chance.«
    »Dann geh doch bitte schon mal zurück zum Haus. Ich mache hier noch schnell Ordnung.« Ich hielt inne. Und dann, gleichermaßen um mich selbst zu überzeugen, fuhr ich fort: »Und es ist das, was du Victor angetan hast, was dich zu einem schlechten Menschen macht. Nicht, dass du ein Wolf sein willst.«
    Cole sah mich an, immer noch mit demselben ausdruckslosen Gesicht, und machte sich dann auf den Weg zurück zum Haus. Ich drehte mich um und ging wieder in den Schuppen.
    Wie Beck es vor mir getan hatte, faltete ich die Decke zusammen und fegte Staub und Haare vom Boden auf. Dann überprüfte ich den Wasserspender, sah die Essensboxen durch und schrieb mir auf, was darin fehlte. Als Nächstes ging ich zu dem Notizblock neben der Bootsbatterie, auf den eine Liste mit Namen gekritzelt war, manchmal mit Datum daneben, manchmal nur mit einer Beschreibung der Bäume, denn die gaben die Zeit an, wenn wir es nicht konnten. Das war Becks Art festzuhalten, wer wann ein Mensch war.
    Auf der aktuellen Seite standen noch die Namen des letzten Jahres, ganz unten der von Beck. Die Liste war wesentlich kürzer als die vom Jahr davor, die wiederum kürzer war als die vom Jahr davor. Ich schluckte und schlug eine neue Seite auf, schrieb oben das Jahr hin und Victors Namen und das Datum darunter. Coles Name hätte eigentlich auch hier stehen müssen, aber ich bezweifelte, dass Beck ihm erklärt hatte, wie wir uns eintrugen. Und ich wollte ihn nicht dazuschreiben. Das hätte geheißen, dass ich ihn offiziell ins Rudel aufnahm, in meine Familie, und das kam gar nicht infrage.
    Lange stand ich da und starrte auf die leere Seite, auf der nichts außer Victors Name stand, dann schrieb ich meinen eigenen darunter.
    Ich wusste, dass er streng genommen nicht mehr dorthin gehörte, aber es war schließlich eine Liste derer, die Menschen waren, oder?
    Und wer war das mehr als ich?

KAPITEL 24
GRACE
    Ich ging in den Wald. Die blattlosen Bäume schlummerten noch, aber die Luft trug ein Gewirr feuchter Frühlingsdüfte mit sich, die bisher von der Kälte überdeckt worden waren. Über und neben mir zwitscherten die Vögel einander zu, flitzten aus dem Unterholz auf höhere Äste und ließen wippende Zweige zurück.
    Ich spürte es bis in die Knochen. Ich war zu Hause.
    Ich war erst ein paar Hundert Meter tief im Wald, als ich es im Unterholz hinter mir knacken hörte. Mit klopfendem Herzen blieb ich stehen, das Rascheln und Knistern des Waldbodens unter meinen Füßen riss ab. Wieder hörte ich das Knacken, es war nicht näher gekommen, aber es war auch nicht weiter weg. Ich drehte mich nicht um, doch ich wusste, dass es ein Wolf sein musste. Ich empfand keine Angst – nur Verbundenheit.
    Ich hörte, wie hin und wieder das Laub raschelte, als der Wolf mir weiter folgte. Er war immer noch nicht näher gekommen,

Weitere Kostenlose Bücher