Ruht das Licht
Bett fallen ließ. »Wir kriegen den Belag gratis. Ich wette, wir kriegen den Belag gratis«, verkündete sie.
»Die Wette hast du sowieso gewonnen«, erwiderte ich. »Das war ja praktisch Telefonsex auf extradünnem Pizzaboden.«
»Klappt eben immer«, sagte Isabel grinsend. »Gut, pass auf. Ich hab meine Hausaufgaben nicht dabei. Die hab ich schon so in etwa in meiner Freistunde gemacht.«
Ich sah sie an. »Wenn du dich jetzt in der Schule hängen lässt, nimmt dich nachher kein College. Und dann sitzt du für immer hier in Mercy Falls fest.« Anders als Rachel und Isabel erfüllte mich diese Vorstellung nicht mit Entsetzen. Aber ich wusste, dass die beiden sich kein schlimmeres Schicksal ausmalen konnten.
Isabel verzog das Gesicht. »Danke, Mom. Ich werd’s mir merken.«
Ich zuckte mit den Schultern und nahm das Buch, das Rachel mir heute vorbeigebracht hatte. »Tja, ich muss aber auf jeden Fall noch Hausaufgaben machen, ich will nämlich mal aufs College gehen. Zumindest den Geschichtstext muss ich heute noch lesen, ist das okay?«
Isabel legte die Wange auf meine Bettdecke und schloss die Augen. »Du musst mich ja auch gar nicht unterhalten. Ich bin schon zufrieden, wenn ich nicht zu Hause sein muss.«
Ich setzte mich ans Kopfende des Bettes, wodurch die Matratze leicht schwankte, aber Isabel ließ die Augen geschlossen. Wenn Sam hier gewesen wäre – oder wenn er ich gewesen wäre –, hätte er Isabel gefragt, wie es ihr gehe und ob alles okay sei. Bevor ich ihn gekannt hatte, wäre ich überhaupt nicht auf so eine Idee gekommen. Inzwischen aber hatte ich ihn derlei Dinge schon so oft fragen hören, dass ich wusste, wie das ging.
»Wie läuft’s denn so bei dir?«, erkundigte ich mich also. Die Frage fühlte sich seltsam auf meiner Zunge an, so als könnte sie gar nicht so ehrlich klingen, wie wenn Sam sie gestellt hätte.
Isabel stöhnte gelangweilt auf und öffnete die Augen. »Das fragt der Therapeut meiner Mom auch immer.« Als sie sich streckte, wirkte ihr ganzer Körper wie der Inbegriff des Worts »träge«. Dann sagte sie: »Ich hol mir was zu trinken. Habt ihr Cola da oder so was?«
Ich war beinahe erleichtert darüber, dass ich so leicht davongekommen war, und überlegte, ob ich sie jetzt noch mal fragen musste. Sam hätte das bestimmt gemacht. Aber ich konnte mich einfach nicht für so lange in ihn hineinversetzen, darum sagte ich bloß: »In der Kühlschranktür stehen ein paar Dosen und ein paar im Schrank rechts daneben.«
»Willst du auch was?«, fragte Isabel und rutschte vom Bett. Eins meiner Lesezeichen war auf den Boden gefallen und klebte nun an ihrem nackten Fuß. Sie winkelte ihr Bein an und zupfte es ab.
Ich überlegte. Mein Magen fühlte sich ein bisschen flau an. »Gingerale, wenn noch was da ist.«
Isabel stakste aus dem Zimmer und kam mit einer Cola und einer Dose Gingerale, die sie mir reichte, wieder. Sie drückte auf einen Knopf an meinem Radiowecker und Sams liebster Alternative-Sender plärrte los. Es rauschte ein bisschen, weil er von irgendwo südlich von Duluth kam. Ich seufzte. Es war nicht gerade meine Lieblingsmusik, aber sie erinnerte mich an ihn, mehr sogar als sein Buch auf dem Nachttisch oder der Rucksack, den er auf dem Boden neben dem Bücherregal vergessen hatte. Jetzt, wo die Sonne fast untergegangen war, fehlte er mir noch mehr.
»Mann, dieses Geschrammel ist ja die reinste Körperverletzung«, beschwerte sich Isabel und schaltete um auf einen klareren Popsender aus Duluth. Sie legte sich neben mir auf den Bauch, dorthin, wo sonst immer Sam gelegen hatte, und öffnete ihre Cola. »Was guckst du so? Lies ruhig. Ich mach’s mir bloß ein bisschen gemütlich.«
Sie schien es ernst zu meinen und so gab es nichts mehr, was mich davon abhielt, mein Geschichtsbuch aufzuschlagen. Aber ich wollte gar nicht lesen. Ich wollte die Arme um mich selbst schlingen, auf dem Bett liegen und Sam vermissen.
ISABEL
Am Anfang war es schön: einfach rumliegen und gar nichts tun. Keine Eltern oder Erinnerungen, die einen behelligten. Neben mir das leise Gedudel des Radios und Grace, die sich stirnrunzelnd über ihr Buch beugte und mal vor- und manchmal auch zurückblätterte, wobei sie die Stirn dann noch mehr runzelte. Ihre Mutter klapperte irgendwo im Rest des Hauses herum und unter der Tür drang der Geruch von verbranntem Toast zu uns herein. Es war tröstlich, mal im Leben von jemand anderem zu sein. Bei einer Freundin, ohne sich unterhalten zu müssen. Da hätte
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