Ruht das Licht
präsentierte mich einem Publikum aus Mikrofonen – einem für mich, einem für meine Gitarre, beide aufmerksam vorgeneigt – und drückte mir ein Paar Kopfhörer in die Hand.
»Damit wir mit dir reden können«, erklärte sie und verschwand wieder im Nebenraum. Grace blieb neben mir stehen, die Hand auf dem Kopf des Labradors.
Meine Finger fühlten sich glitschig an, ungeeignet für die Aufgabe, die vor ihnen lag; die Kopfhörer rochen so, als hätten sie schon auf viel zu vielen Köpfen gesessen. Von meinem Hocker aus sah ich beklommen zu Grace auf, die in dem seltsamen Licht von oben wunderschön und markant aussah, ihr Gesicht spitz wie bei einem Model aus einem Modemagazin. Mir fiel auf, dass ich sie an diesem Morgen gar nicht gefragt hatte, wie es ihr ging. Ob sie noch krank war. Ich erinnerte mich, wie sie beim Aussteigen aus dem Auto gestrauchelt war und sich sofort verstohlen nach mir umgesehen hatte. Ich schluckte, mein Hals war wie zugeklebt, und fragte stattdessen: »Können wir auch mal einen Hund haben?«
»Können wir«, entschied Grace generös. »Aber ich gehe morgens nicht mit ihm raus. Weil ich dann schlafe.«
»Ich schlafe eh nie«, erwiderte ich. »Ich mach das.«
Ich zuckte zusammen, als Dmitras Stimme durch den Kopfhörer drang. »Sing mal bitte was, damit ich alles einstellen kann.«
Grace beugte sich vor, vorsichtig, um mir nicht den Kaffee in den Schoß zu kippen, und küsste mich auf den Kopf. »Viel Glück.«
Am liebsten hätte ich sie bei mir gehabt, während ich sang, um daran erinnert zu werden, warum ich eigentlich hier war. Aber irgendwie wäre es auch nicht richtig gewesen, Songs darüber zu singen, wie sehr ich sie vermisste, wenn ich sie dabei die ganze Zeit ansehen konnte, also ließ ich sie gehen.
GRACE
Ich setzte mich auf das niedrige Sofa und versuchte, so zu tun, als würde mich Dmitra nicht einschüchtern. Sie machte keinen Small Talk, während sie am Mischpult herumfummelte, und ich wusste auch nicht, ob sie sich durch so was nicht gestört fühlen würde, also blieb ich einfach sitzen und sah ihr bei der Arbeit zu.
Insgeheim war ich froh über die Gesprächspause, die Gelegenheit, ein bisschen still zu sein. In meinem Kopf fing schon wieder das altbekannte langsame Pochen an und die seltsame Hitze breitete sich von Neuem in meinem Körper aus. Wenn ich während dieser Kopfschmerzen redete, fingen immer meine Zähne an wehzutun; die Wärme des stumpfen Schmerzes sammelte sich in meinem Hals und meiner Nase. Ich tupfte mir mit einem Taschentuch die Nase ab, aber sie war trocken.
Du musst nur noch diesen einen Tag durchhalten, befahl ich mir. Heute geht es nicht um dich.
Ich würde Sam nicht den Tag ruinieren. Also saß ich dort auf dem Sofa, ignorierte meinen Körper, so gut es ging, und hörte zu.
Sam hatte uns den Rücken zugewandt und stimmte seine Gitarre, die Schultern gekrümmt.
»Sing einfach mal was«, forderte Dmitra ihn auf und ich sah, wie er sich zu ihr umdrehte, als er ihre Stimme durch den Kopfhörer hörte. Dann begann er mit einem schnellen, gezupften Stück, das ich ihn noch nie hatte spielen hören, und fing an zu singen. Der erste Ton war noch etwas wackelig, man hörte seine Nervosität heraus, doch dann war sie plötzlich fort, verschwunden in seiner rauen, ernsten Stimme. Der Song war herzzerreißend, ein Stück über Verlust und Abschied – zuerst dachte ich, er handle von Beck oder auch mir, dann aber begriff ich, dass es darin um Sam selbst ging:
One thousand ways to say good-bye
One thousand ways to cry
One thousand ways to hang your hat before you
go outside
I say good-bye good-bye good-bye
I shout it out so loud
’ Cause the next time that I find my voice I might
not remember how.
Den Song durch die Lautsprecher zu hören anstatt direkt von Sam, ließ alles ganz anders erscheinen, als hätte ich ihn nie zuvor singen hören. Aus irgendeinem Grund wollte mein Mund einfach nicht aufhören zu lächeln. Es schien nicht richtig, so stolz auf etwas zu sein, womit ich absolut nichts zu tun hatte, aber ich konnte nicht anders. Vor dem Mischpult saß Dmitra und regte sich nicht, ihre Finger schwebten über den Reglern. Sie hörte mit schräg gelegtem Kopf zu, dann sagte sie: »Sieht ja fast so aus, als käme da noch was richtig Gutes bei raus.«
Ich lächelte einfach weiter vor mich hin, denn das hatte ich schließlich schon von Anfang an gewusst.
KAPITEL 34
ISABEL
Es war drei Uhr nachmittags und wir hatten Kenny’s
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