Ruht das Licht
für uns allein. Der Fettgeruch des Frühstücks hing noch in der Luft, billiger Speck, matschige Kartoffelpuffer, und irgendwie roch es auch nach Zigaretten, obwohl es gar keinen Raucherbereich gab.
Mir gegenüber in der Essnische hatte sich Cole hingefläzt, die Beine lang ausgestreckt, sodass ich immer wieder zufällig mit den Füßen dagegenstieß. Ich fand, er passte genauso wenig in diesen Hinterwäldlerladen wie ich. Er sah aus, als hätte ihn ein hipper Designer kreiert, der genau wusste, was er tat – seine ausgeprägten Gesichtszüge wirkten kantig und schnörkellos, scharf genug, um sich daran zu verletzen. Hinter ihm sah die Sitzbank weich und verblasst aus, beinahe lächerlich altmodisch und rustikal im Vergleich, als hätte ihn jemand für ein ironisches Fotoshooting dort platziert. Seine Hände faszinierten mich irgendwie – sie wirkten hart, lauter spitze Winkel und hervortretende Adern, die über die Handrücken verliefen. Ich sah zu, wie elegant seine Finger alltägliche Dinge, wie Zucker in den Kaffee rühren, verrichteten.
»Bist du Musiker?«, fragte ich.
Cole sah mich unter hochgezogenen Augenbrauen an; irgendwas an meiner Frage schien ihn zu ärgern, aber er war zu geübt, um sich viel davon anmerken zu lassen. »Ja«, antwortete er.
»Welches Instrument?«
Er machte ein Gesicht, wie es nur echte Musiker aufsetzen, wenn man sie nach ihrer Musik fragt. Seine Stimme klang selbstironisch, als er erwiderte: »Alles Mögliche. Keyboard vor allem.«
»Wir haben einen Flügel zu Hause«, sagte ich.
Cole sah hinunter auf seine Hände. »Ich spiele eigentlich nicht mehr.« Dann verstummte er wieder und dieses Schweigen breitete sich zwischen uns auf dem Tisch aus, schwer und wuchernd und giftig. Ich zog eine Grimasse, die er nicht mitbekam, weil er gar nicht erst aufsah. Small Talk war nicht gerade mein Ding. Ich dachte daran, Grace anzurufen und sie zu fragen, worüber ich mich mit einem wortkargen Werwolf mit Selbstmordgedanken unterhalten sollte, aber ich hatte mein Handy irgendwo liegen lassen. Wahrscheinlich im Auto.
»Wo guckst du hin?«, fragte ich schließlich, ohne eine Antwort zu erwarten.
Zu meiner Überraschung streckte Cole eine Hand aus, spreizte die Finger, sodass der Daumen mir am nächsten war, und betrachtete sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Ekel. Seine Stimme spiegelte seinen Gesichtsausdruck wider. »Heute Morgen, als ich wieder ich wurde, lag eine tote Hirschkuh vor mir. Na ja, noch nicht tot. Sie hat mich angesehen«, jetzt sah er mir in die Augen und wartete auf meine Reaktion, »aber sie konnte nicht aufstehen, weil ich ihr vor meiner Verwandlung den Bauch aufgerissen hatte. Und ich glaube«, er stockte, »ich glaube, ich war dabei, sie lebendig zu fressen. Und ich glaube, ich hab auch danach noch weitergemacht, weil meine Hände … die waren voll mit ihren Eingeweiden.«
Er blickte hinunter auf seinen Daumen und jetzt sah ich den schmalen braunen Rand unter dem Nagel. Sein Daumen zitterte, so schwach, dass man es kaum erkennen konnte. »Ich krieg es nicht weg«, sagte er.
Ich legte meine Hand mit der Handfläche nach oben auf den Tisch, und als er nicht verstand, was ich wollte, streckte ich den Arm aus und ergriff seine Finger mit meinen. Mit der anderen Hand kramte ich meinen Nagelknipser aus der Handtasche, klappte die kleine Feile daran aus und kratzte den braunen Rand unter seinem Nagel weg. Dann pustete ich die Krümelchen vom Tisch, steckte den Knipser zurück in die Tasche und gab ihm seine Hand wieder.
Er ließ sie zwischen uns liegen, mit der Handfläche nach unten, die Finger gespreizt und gegen die Tischplatte gepresst, als wäre sie ein Tier, das sich zur Flucht bereit machte.
»Ich glaube nicht, dass das mit deinem Bruder deine Schuld war«, sagte Cole.
Ich verdrehte die Augen. »Danke, Grace.«
»Hä?«
»Grace. Sams Freundin. Die sagt das auch immer. Aber sie war nicht dabei. Außerdem ist der Typ, den sie versucht hat zu retten, am Leben. Da kann sie sich’s leisten, großzügig zu sein. Warum müssen wir denn jetzt darüber reden?«
»Weil ich deinetwegen drei Meilen laufen musste, nur für ’ne blöde Tasse Kaffee. Warum denn gerade Meningitis?«
»Weil man bei Meningitis Fieber bekommt.« Sein verständnisloser Blick verriet mir, dass ich am falschen Ende angefangen hatte. »Grace ist als Kind gebissen worden. Aber sie hat sich nie verwandelt, weil ihr Idiot von Vater sie an einem heißen Tag im Auto gelassen und beinahe
Weitere Kostenlose Bücher