Ruht das Licht
du hier?«
Ich presste die Lippen aufeinander. »Gar nichts. Ich meine, ich wollte gerade gehen.«
Cole streckte einen Arm in meine Richtung. »Geh noch nicht.«
»Ja, genau, hier ist es ja auch total gemütlich«, erwiderte ich.
»Du kannst mir helfen«, sagte er. »Hilf mir rauszufinden, wie ich ein Wolf bleiben kann.«
In Gedanken saß ich wieder am Bett meines Bruders. Meines Bruders, der alles riskiert hatte, um ein Mensch bleiben zu können. Ich hatte zugesehen, wie er das Gefühl in den Fingern und Zehen verlor und wie er unter dem Schmerz wimmerte, der in seinem Kopf tobte. Es gab keine Worte, um den Abscheu zu beschreiben, den ich in diesem Moment für Cole empfand.
»Find’s doch alleine raus«, sagte ich.
»Ich kann nicht«, erwiderte Cole, der immer noch auf dem Rücken lag und mich kopfüber ansah. »Ich schaffe es nur, dass ich mich verwandle, aber es bleibt nicht so. Kälte ist ein Auslöser, aber ich glaube, auch Adrenalin. Ich hab’s mit einem Eisbad versucht, aber das hat erst geklappt, als ich mich zusätzlich auch noch mit einer Rasierklinge geschnitten habe, für den Adrenalinstoß. Und es bleibt einfach nicht so. Ich verwandle mich immer wieder zurück.«
»Ach, du Ärmster«, säuselte ich. »Sam wird ausrasten, wenn er sieht, was du mit seinem Haus angestellt hast.« Ich wandte mich zur Tür.
»Isabel, bitte.« Coles Stimme folgte mir, wenn es auch sein Körper nicht tat. »Wenn ich es nicht schaffe, ein Wolf zu werden, bring ich mich um.«
Ich blieb stehen, ohne mich zu ihm umzudrehen.
»Ich sage das nicht, um dich zum Bleiben zu bewegen, okay? Es ist die Wahrheit.« Er zögerte. »Ich muss hier raus, irgendwie, entweder auf die eine Art oder die andere. So kann ich einfach nicht … Ich muss das irgendwie auf die Reihe kriegen, Isabel. Du weißt mehr über die Wölfe. Bitte, hilf mir.«
Ich drehte mich um. Er lag noch immer auf dem Boden, eine Hand auf der Brust, die andere ausgestreckt, nach mir. Ich sah ihn an. »Du bittest mich, dir dabei zu helfen, dich umzubringen. Tu nicht so, als wäre es anders. Oder wie würdest du das nennen, wenn du für immer ein Wolf wirst?«
Cole schloss die Augen. »Hilf mir trotzdem.«
Ich lachte. Ich hörte, wie grausam mein Lachen klang, doch ich gab mir keine Mühe, das zu ändern. »Lass mich dir eins sagen, Cole. Ich habe in diesem Haus gesessen, in genau diesem Haus«, ich zeigte auf den Boden, als er die Augen öffnete, »in diesem Zimmer da unten und hab meinen Bruder sterben sehen. Und ich hab nichts unternommen. Weißt du, woran er gestorben ist? Er war gebissen worden und hat dagegen gekämpft, sich in einen Werwolf zu verwandeln. Ich habe ihn durch eine Injektion mit bakterieller Meningitis infiziert und dadurch hat er erst mal höllisches Fieber bekommen, sein Gehirn war komplett entzündet, seine Finger und Zehen sind abgestorben, bis er schließlich krepiert ist. Ich habe ihn nicht ins Krankenhaus gebracht, weil ich wusste, dass er lieber sterben würde, als ein Werwolf zu sein. Und genau der Wunsch ist ihm am Ende erfüllt worden.«
Cole starrte mich an, sein Blick genauso tot wie vorher. Ich wartete darauf, dass er irgendwie reagierte, doch es kam nichts. Seine Augen waren leer, hohl.
»Ich erzähle dir das, damit du weißt, dass ich seitdem schon hunderttausendmal einfach nur hier rauswollte. Ich hab dran gedacht, zu trinken – hey, bei meiner Mom funktioniert’s – oder Drogen zu nehmen – hey, bei meiner Mom funktioniert’s –, und ich hab dran gedacht, mir eine von den acht Millionen Knarren meines Vaters an den Kopf zu halten und mir das Gehirn wegzupusten. Und weißt du, was das Traurigste ist? Es liegt noch nicht mal daran, dass Jack mir so fehlt. Ich meine, er fehlt mir, aber das ist nicht der Grund, warum es mir so beschissen geht. Der wahre Grund ist, dass ich mich so verdammt schuldig fühle, weil ich ihn umgebracht habe. Ich habe ihn umgebracht. Und an manchen Tagen kann ich damit einfach nicht leben. Aber ich tue es trotzdem. Weil das Leben nun mal so ist, Cole. Leben ist Schmerz. Du musst versuchen, so gut wie möglich damit klarzukommen.«
Cole sagte bloß: »Ich will aber nicht.«
Es war, als würde er mir die Wahrheit immer dann um die Ohren hauen, wenn ich am wenigsten damit rechnete. Ich wusste, dass ich dadurch Mitleid mit ihm bekam, ob ich wollte oder nicht. Aber ich konnte genauso wenig dagegen tun wie damals, als ich ihn geküsst hatte.
Wieder verschränkte ich die Arme. Ich fühlte mich, als
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