Ruinen der Macht
seit mindestens fünfzehn Minuten hier im >Borzoi< befand. Es war nach Mitternacht.
Nichts war geschehen. Der Barmann forderte ihn nicht einmal auf, etwas zu bestellen oder zu verschwinden, obwohl das Geschäft nicht gerade glänzend lief. Bis auf ihn und die Angestellten war die Kneipe leer. Aber welches Geschäft mochte Gestalten, die nur herumlungerten? Die Tatsache, dass ihn niemand zwang, zu verschwinden, falls er nichts bestellen wollte, zeigte Austin, dass er auf der richtigen Spur war. Dann kam ihm die Erleuchtung. Er musste den Kontakt herstellen, und er hatte den Schlüssel dazu bekommen.
»Kann ich ein Gläschen vor dem Schlafengehen bekommen?«, rief Austin dem Barmann zu. Dessen buschige Augenbrauen hoben sich ein wenig. Er beugte sich über die Theke und sprach leise mit der Bedienung.
»Wollen Sie sonst noch was?«, fragte er Austin.
»Ein Gläschen vor dem Schlafengehen. Mehr nicht.« Austin hätte sich selbst einen Tritt versetzen können, dass er nicht eher etwas gesagt hatte. Borodin hatte ihm das Kennwort verraten, und er hatte es nicht erkannt. Er hätte wissen müssen, dass Manfreds Freunde auf Erkennungssignalen bestehen würden. Wie sonst hätten sie wissen sollen, dass er ihnen nicht die Behörden auf den Hals hetzte.
Die Kellnerin machte weiter ihre Arbeit, verschwand dann im Hinterzimmer und kehrte eine Minute später mit einem Tablett Gläser zurück. Weitere zehn Minuten verstrichen. Austin stand halb auf, als ein Mann, der zum Schutz vor dem Wind wie eine Mumie eingepackt war, von der Straße hereinkam. Der böige Wind drang hinter ihm in den Schankraum ein, bis er die Türe gegen den Sturm ins Schloss knallte. Die Angestellten begrüßten ihn herzlich und versammelten sich um ihn wie um einen lange vermissten Verwandten, aber Austin bemerkte, wie die Bedienung über die Schulter einen versteckten Blick in seine Richtung warf. Was auch immer der Neuankömmling so Spannendes zu erzählen hatte, es betraf Austin.
Der wünschte sich jetzt, er wäre bewaffnet gekommen. Um ehrlich zu sein, er wünschte sich, er hätte einen Krötenpanzer getragen. Endlich konnte er seine Nervosität nicht länger unterdrücken. Aus-tin schaute auf die Uhr und stellte fest, dass er bereits zwanzig Minuten im >Borzoi< wartete. Es war Zeit zu gehen. Er hatte gehofft, Manfred wäre aufgetaucht oder zumindest jemand, der ihm helfen konnte, mit Manfred in Verbindung zu treten. Borodins Kennwort hatte ihm nicht viel geholfen. Austin hatte nicht einmal einen Drink bekommen.
Als er um den kleinen Tisch trat, bellte ihn der Barmann an: »Wir schließen erst in einer Stunde. Setz dich wieder hin, Towarischtsch.« Der Mann sprach mit grober Stimme, aber Austin hörte keine Drohung heraus, also ließ er sich wieder auf den Stuhl sinken und legte die Hände vor sich auf den Tisch. Das Warten fiel ihm immer schwerer.
Plötzlich riss er die Augen auf und schoss hoch.
»Manfred!«
Der Kunde an der Theke zog den schweren Schal vom Gesicht.
»So ist's recht, brüllen Sie es in alle Welt hinaus.« Manfred Leclerc lachte, um der Zurechtweisung ihren Stachel zu nehmen. »Wenn aus Ihnen noch ein Spion werden soll, müssen Sie Zurückhaltung lernen.«
»Spionage? Ist es das, worum es hier geht?«
Manfred setzte sich neben Austin und beugte sich herüber, um in einem kaum hörbaren Flüsterton reden zu können.
»Ich bin kein Spion und ich habe nicht versucht, Sie umzubringen, aber das wissen Sie selbst. Ihr Vater hat es Ihnen bereits gesagt. Dass Sie heute Abend hier sind, beweist mir, dass Sie ihn vermutlich ignoriert haben, als er Ihnen sagte, Sie sollen die Finger von dieser Sache lassen.«
»Wir sind Freunde, Manfred. Es sieht ganz danach aus, als brauchten Sie Hilfe. Fast so dringend wie ich Antworten.«
»Ich bin Ihr Freund, Austin. Jetzt und für alle Zeit.« Manfred streckte die Hand aus und drückte Austins Arm. »Ich bin froh, dass Sie Eloras Geschichte nicht geschluckt haben, nach der ich hinter dem Angriff auf Sie steckte.«
»Sie hätten überhaupt keinen Grund dafür gehabt«, antwortete Austin. »Was geht hier vor? Allmählich bin ich so weit, zu glauben, dass selbst Borodin irgendwelche versteckten Ziele verfolgt.«
»Dmitri?« Leclerc lachte. »Das ist köstlich. Dmitri ist so ziemlich der durchsichtigste Mensch, den ich je gesehen habe. An ihm ist wirklich alles offen und ehrlich. Er ist ein treuer und guter Untergebener. Lassen Sie sich niemals dazu verführen, ihm zu misstrauen.«
»Wer hat
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