Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
zwar solange bleiben könnte, bis ich eine Wohnung hätte – aber er meinte auch, daß eine Woche lange genug wäre.«
Sala nickte. »Ja, natürlich, der will dich da raus haben – oder er zahlt einfach die Rechnung nicht mehr.« Er sah mir in die Augen. »Wenn du magst, kannst du bei mir wohnen. Jedenfalls, bis du was besseres gefunden hast.«
Ich überlegte kurz. Sein Apartment war eine Art Gruft unten in der Altstadt – Erdgeschoß, hohe Decke, Fensterläden, Kochplatte.
»Ich glaube schon«, sagte ich. »Wieviel zahlst du?«
»Sechzig.«
»Nicht übel«, sagte ich. »Und wenn ich dir auf die Nerven gehe?«
»Ach was«, antwortete er. »Ich bin ja nie da – dieses Loch ist einfach zu deprimierend.«
Ich lächelte. »Wann kann ich kommen?«
Er zuckte mit den Achseln. »Wann du willst. Am besten, du bleibst so lange wie möglich im Hotel. Wenn er dich dann anspricht, sag ihm, daß du morgen umziehen würdest.«
Er packte seine Ausrüstung zusammen, und wir nahmen den Hinterausgang, um den Mob vor dem Gebäude zu umgehen. Es war so heiß, daß mir schon der Schweiß ausbrach, wenn wir nur an einer roten Ampel hielten. Sala schlängelte sich durch den Verkehr in der Avenida Ponce de Léon und fuhr Richtung Stadtrand.
Irgendwo in Santurce hielten wir an, um Schulkinder über die Straße zu lassen. Sie lachten über uns. »La cucaracha!« schrien sie. »Cucaracha! Cucaracha!«
Sala war gekränkt.
»Versteh ich was nicht?« fragte ich.
»Die kleinen Dreckskerle nennen diesen Wagen eine Kakerlake«, murmelte er. »Ich sollte ein paar von ihnen über den Haufen fahren.«
Wir brausten weiter, und ich grinste und lehnte mich zurück in meinen Sitz. Die Welt, in die ich da geraten war, wirkte seltsam und unwirklich. Man konnte sich amüsieren, und gleichzeitig herrschte eine undurchschaubar bedrückende Stimmung. Hier also war ich gelandet, wohnte in einem Luxushotel, kurvte herum in einer mehr oder weniger lateinamerikanischen Stadt, saß in einem Spielzeugauto, das wie eine Kakerlake aussah und wie ein Düsenjäger dröhnte, schlich mich Alleen entlang und bumste am Strand, jagte mein Essen in haiverseuchten Gewässern und wurde selbst gejagt von einem Mob, der in einer fremden Sprache herumbrüllte – und das alles im malerischen, guten alten spanischen Puerto Rico, wo alle amerikanische Dollars ausgaben und amerikanische Wagen fuhren und sich am Roulette-Tisch so benahmen, als wären sie in
Casablanca. Die eine Hälfte der Stadt sah aus wie Tampa, die andere wie eine mittelalterliche Irrenanstalt. Jeder, der mir über den Weg lief, verhielt sich, als käme er gerade von einem entscheidenden Casting. Und ich selbst bekam ein lächerliches Gehalt, um loszuziehen und »herauszufinden, was Sache ist«.
Ich mußte an meine Freunde denken und wollte ihnen allen schreiben und sie einladen. Ich dachte an Phil Rollins, der sich in New York den Arsch aufriß, Geschichten von steckengebliebenen U-Bahnen und Bandenkriegen in Brooklyn hinterherjagte; Duke Peterson, der im White Horse herumsaß und keine Ahnung hatte, was er als nächstes machen sollte; Carl Browne in London, der über das Wetter fluchte und immer auf der Suche nach einem Auftrag war; Bill Minnish, der in Rom lebte und dabei war, sich zu Tode zu saufen. Ihnen allen wollte ich ein Telegramm schicken: »Kommt sofort stop jede Menge Platz im Rum-Faß stop keine Arbeit stop das große Geld stop jeden Tag trinken gehen stop jede Nacht bumsen stop beeilt euch stop könnte bald vorbei sein.«
Daran dachte ich, während ich die Palmen vorbeirauschen sah und die Sonne auf meinem Gesicht spürte, und plötzlich bremsten wir mit quietschenden Reifen und ich wurde gegen die Windschutzscheibe geschleudert. Im selben Moment heizte ein pinkfarbenes Taxi über die Kreuzung und verfehlte uns um knapp zwei Meter.
Salas Augen traten hervor, die Adern an seinem Hals schwollen an. »Mutter Gottes!« schrie er. »Hast du den Wahnsinnigen gesehen? Bei Rot über die Ampel!«
Ruckartig legte Sala den Gang ein und wir fuhren weiter. »Jesus«, murmelte er. »Diese Leute hier sind mir zu viel! Ich muß weg hier, die bringen mich noch um.«
Er zitterte am ganzen Körper. Ich bot ihm an zu fahren,
aber er ging nicht darauf ein. »Ich meine es ernst«, sagte er. »Ich muß abhauen – ich habe hier kein Glück mehr.«
Etwas ähnliches hatte Sala schon einmal zuvor gesagt, und wahrscheinlich war er wirklich überzeugt davon. Worum es ihm eigentlich ging, war eine
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