Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
bewußt, daß ich meinen Besuch überhaupt
nicht angekündigt hatte. Um nicht dabei ertappt zu werden, wie ein Spion herumzuschnüffeln, lief ich über den Hof und stapfte zu einem Kliff, das steil zum Strand abfiel. Links und rechts von mir gab es nur Palmen und weißen Sand; vor mir lag der Ozean. Ungefähr fünfzig Meter weiter draußen brachen sich die Wellen an einem vorgelagerten Riff.
Dann sah ich dort am Riff zwei Gestalten, die sich umklammerten. Ich erkannte Yeamon und das Mädchen, das mit mir im Flugzeug gekommen war. Beide waren nackt. Das Wasser reichte ihnen knapp bis zur Taille, und sie hatte die Beine um seine Hüften und die Arme um seinen Nacken geschlungen. Ihr Kopf war zurückgeworfen, und ihr langes Haar wehte über dem Wasser wie eine blonde Mähne.
Zuerst dachte ich, eine Vision zu haben. Die Szene war so idyllisch, daß sich mein Verstand weigerte, sie für real zu halten. Ich stand einfach da und schaute zu, wie er sie an der Taille festhielt und langsam kreisen ließ. Dann hörte ich ein Geräusch, etwas wie einen hellen Glücksschrei, und sie streckte ihre Arme aus wie Flügel.
Ich hatte genug und fuhr zu dem Laden in Jesús Lopo zurück. Dort kaufte ich mir eine kleine Flasche Bier für fünfzehn Cents und setzte mich an der Lichtung auf eine Bank. Ich fühlte mich wie ein alter Mann. Das Schauspiel, das ich gerade verfolgt hatte, spülte eine Menge Erinnerungen hoch; weniger von Dingen, die ich getan hatte, als von Dingen, die ich versäumt hatte zu tun – all die vergeudeten Stunden, die Momente des Scheiterns, die verpaßten Gelegenheiten. All das war für immer verloren, und die Zeit hatte bereits soviel von meinem Leben aufgefressen, daß ich nie mehr etwas davon zurückbekommen würde. Ich beneidete Yeamon und hatte Mitleid mit mir
selbst. Die Szene, in der ich ihn erlebt hatte, ließ mein eigenes Glück ziemlich lau erscheinen.
Wie ich da auf der Bank saß und Señor Lopez von seiner Ladentheke aus auf mich starrte wie ein schwarzer Magier, fühlte ich mich einsam. Ich war in einem Land, wo ein Weißer mit Cordsakko nichts zu suchen hatte, und wo es keinen Grund für ihn gab, einfach nur herumzuhängen. Ich saß vielleicht noch zwanzig Minuten da und versuchte seinen Blicken standzuhalten. Dann fuhr ich zu Yeamon zurück und hoffte, daß sie fertig sein würden.
Vorsichtig näherte ich mich dem Haus. Yeamon brüllte mich schon an, noch ehe ich von der Straße heruntergefahren war. »Hau ab!« rief er. »Verschone uns mit den Problemen der Arbeiterklasse!«
Ich lächelte verlegen und hielt neben dem Hof. »Das kann doch nur Ärger bedeuten, wenn du so früh am Morgen hier aufkreuzt«, sagte er grinsend. »Was ist los – hat das Blatt dicht gemacht?«
Ich schüttelte den Kopf und stieg aus. »Ich hatte einen frühen Termin.«
»Du kommst genau richtig«, sagte er. Er nickte in Richtung Hütte. »Chenault zaubert gerade ein Frühstück – wir waren vorhin schwimmen.«
Ich ging ein Stück zum Strand vor und schaute mich um. Plötzlich verspürte ich den Drang, mich nackt auszuziehen und ins Wasser zu laufen. Die Sonne brannte herunter, und ich sah neidisch zu Yeamon herüber, der nur seine schwarzen Shorts anhatte. Mit Jackett, Krawatte und einem nassen Hemd, das an meinem Rücken festklebte, kam ich mir wie ein Rechnungseintreiber vor. Der Schweiß lief mir über das Gesicht.
Dann kam Chenault aus dem Haus. An ihrem Lächeln sah ich, daß sie mich gleich erkannte – der Mann, der im
Flugzeug Amok gelaufen war. Ich lächelte leicht nervös zurück und sagte hallo.
»Ich erinnere mich an dich«, sagte sie. Yeamon lachte, während ich verlegen nach Worten suchte.
Chenault trug einen weißen Bikini; ihre Haare fielen bis zur Taille. Sie hatte nichts mehr von einer Sekretärin. Eher sah sie aus wie ein wildes sinnliches Kind, das noch nie mit etwas anderem als zwei weißen Stoffstreifen und einem warmen Lächeln herumgelaufen war. Sie war sehr klein, aber ihre Figur ließ sie größer erscheinen, und sie war nicht so dünn und unentwickelt wie die meisten jungen Mädchen, sondern von einer fleischigen Rundheit, die nur aus Hüften und Schenkeln und Nippeln und blonder Wärme zu bestehen schien. »Verdammt, ich hab einen Riesenhunger«, sagte Yeamon. »Wie sieht’s aus mit Frühstück?«
»Gleich fertig«, sagte sie. »Grapefruit gefällig?«
»Unbedingt«, gab er zurück. »Setz dich, Kemp. Schau nicht so benommen. Willst du auch eine Grapefruit?«
Ich schüttelte
Weitere Kostenlose Bücher