Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
Gummisack, dann heißt es, daß sie unbrauchbar ist, und wahrscheinlich entlassen sie mich. Ich will Sie ja nicht drängen, aber Sie werden mir doch sicher etwas Konkreteres sagen können. Ich meine – gibt es vielleicht nicht genügend Aufstiegsmöglichkeiten für junge, dynamische Menschen? Wird St. Louis seiner Verantwortung gegenüber der Jugend nicht gerecht? Ist unsere Gesellschaft womöglich nicht flexibel genug für junge Leute mit Ideen? Sie können ganz offen mit mir darüber reden, Mr. Kemp – woran liegt es?«
»Also, mein Lieber, wie gern würde ich Ihnen helfen. Beim Himmel, natürlich will ich nicht, daß Sie ohne Geschichte dastehen und gefeuert werden. Ich weiß ja, wie das ist – bin ja selbst Journalist, wissen Sie – aber … also … Ich bekomme DIE ANGST … können Sie das verwenden? ST. LOUIS VERSETZT JUNGE MENSCHEN IN ANGST – keine schlechte Schlagzeile, oder?!«
»Kommen Sie schon, Kemp, Sie wissen doch, daß ich damit nichts anfangen kann – GUMMISÄCKE; DIE ANGST.«
»Verflucht noch mal, mein Freund, ich sag Ihnen doch, es ist die Angst vor dem Sack. Sagen Sie Ihren Kollegen einfach, Kemp flieht aus St. Louis, weil er den Verdacht hat, daß dieser Sack mit schrecklichen Dingen gefüllt ist, und er möchte da eben nicht rein gesteckt werden; er spürt das alles schon von weitem. Dieser Kemp ist kein Vorzeigejugendlicher. Er ist mit zwei Toiletten und einem Fußball aufgewachsen, aber irgendwann muß was schief gelaufen sein. Alles, was er jetzt wirklich will, ist RAUS, ABHAUEN. Da kann er jetzt mal drauf scheißen, auf St. Louis und seine Freunde und seine Familie und auf alles
andere auch … er will einfach nur einen Platz finden, wo er atmen kann … kommen wir damit hin?«
»Also, äh, ja Kemp, Sie klingen ein bißchen hysterisch. Ich weiß wirklich nicht, ob aus der Geschichte mit Ihnen etwas wird.«
»Dann verpissen Sie sich einfach. Lassen Sie mich vorbei. Mein Flug wird gerade aufgerufen. Hören Sie die Stimme? Hören Sie?«
»Sie sind verrückt, Kemp! Das wird kein gutes Ende nehmen! Leute wie Sie kannte ich auch in Tallahassee, und was aus denen wurde –«
Ja, aus denen wurden so etwas wie Puertoricaner. Sie sind abgehauen und wußten nicht genau warum, aber sie wollten eben verdammt noch mal weg, und es war ihnen egal, ob die Zeitungen das verstanden oder nicht. Und irgendwie kamen sie auf die Idee, daß sie etwas Besseres finden könnten, wenn sie nur wegkommen würden von dort, wo sie waren. Sie hörten nur das Wort Gottes, irgendein Wort, ein verrottetes teuflisches Wort, das ein unaufhaltsames Verlangen weckt, weiter zu ziehen – selbst dann, wenn man nicht in einer Blechhütte lebt, ohne Toilette und ohne einen Cent und mit nichts zu essen als Reis und Bohnen; denn nicht jeder Mensch schneidet Zuckerrohr für einen Dollar am Tag oder schleppt eine Ladung Kokosnüsse in die Stadt, um sie für zwei Cents pro Stück zu verkaufen, und die billige, heiße, hungrige Welt ihrer Väter und Großväter und all ihrer Geschwister war noch nicht die ganze Geschichte, denn wenn jemand den Mut aufbringt oder einfach nur die Verzweiflung, ein paar Tausend Meilen weiterzuziehen, dann stehen die Chancen nicht schlecht, daß er einmal Geld in der Tasche und ein Steak in seinem Bauch und eine verdammt gute Zeit haben wird.
Yeamon hatte die Stimmung perfekt getroffen. Auf
sechsundzwanzig Seiten war er weit über die Frage hinausgegangen, warum Puertoricaner nach New York verschwinden. Letztlich war es eine Geschichte darüber, warum ein Mensch ohne große Aussichten seine Heimat verläßt, und als ich sie fertig gelesen hatte, kam ich mir klein und dumm vor mit all dem Mist, den ich seit meiner Ankunft in San Juan geschrieben hatte. Einige der Gespräche waren unterhaltsam, andere ein wenig mitleiderregend, allen gemeinsam aber war ein roter Faden, der wichtigste Antriebsgrund – die Tatsache, daß diese Menschen glaubten, in Puerto Rico nichts zu haben, und in New York hatten sie zumindest eine Chance.
Als ich den Artikel ein zweites Mal gelesen hatte, ging ich zu Lotterman und sagte ihm, daß ich die Geschichte als fünfteilige Serie drucken würde.
Er knallte seinen Baseball auf den Tisch. »Verdammt, Sie sind genau so verrückt wie Yeamon! Was soll ich mit einer Serie, die kein Mensch lesen wird?«
»Jeder wird sie lesen«, sagte ich, obwohl ich genau wußte, daß das nicht stimmte.
»Reden Sie keinen Unsinn«, maulte er. »Nach zwei Seiten war ich zu
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