Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
ihn feuerte.
Auch wenn er widerlich war, blitzte in seltenen Momenten seine Intelligenz auf. Doch sein Gehirn muß von den unzähligen Drinks so verrottet gewesen sein, daß es meistens wie eine alte Maschine lief, die verrückt spielte, weil sie in Schweineschmalz getaucht worden war.
»Lotterman hält mich für einen Demogorgon«, sagte er dann. »Du weißt nicht, was das ist? Schlag’s nach – kein Wunder, daß er mich nicht mag.«
Eines Abends erzählte er mir bei Al, er würde ein Buch mit dem Titel Die Unvermeidlichkeit einer seltsamen Welt schreiben. Er nahm das sehr ernst. »Es ist die Art von Buch, die ein Demogorgon schreiben würde«, sagte er. »Voller Schrecken und Wahnsinn. Ich habe die fürchterlichsten Dinge zusammengestellt, die mir eingefallen sind – der Held ist ein als Priester verkleideter Menschenfresser – Kannibalismus zieht mich unglaublich an – einmal, im Knast, schlagen sie einen Säufer halb tot – ich fragte einen der Cops, ob ich ein Stück von seinem Bein essen dürfte, bevor ihn die anderen kalt machten …« Er lachte. »Das Schwein warf mich raus – schlug mit einem Knüppel auf
mich ein.« Er lachte wieder. »Ich hätte es gegessen – warum nicht? Menschenfleisch ist nichts Heiliges – es ist einfach nur Fleisch wie jedes andere – würdest du das bestreiten?«
»Nein«, sagte ich. »Warum sollte ich?«
Es war eines der wenigen Gespräche, bei dem ich begriff, was er meinte. Meistens redete er nur wirres Zeug, und Lotterman drohte ständig, ihn herauszuwerfen. Aber wir waren so unterbesetzt, daß er es sich nicht leisten konnte, jemanden gehen zu lassen. Nachdem Moberg von den Streikenden verprügelt worden war und einige Tage im Krankenhaus verbrachte, hatte Lotterman sogar die Hoffnung, daß er wieder auf die richtige Bahn kommen würde. Aber als er wieder zur Arbeit erschien, war er noch unberechenbarer als zuvor.
Manchmal fragte ich mich, wer eher am Ende sein würde – Moberg oder die NEWS. Das Blatt lag unübersehbar in den letzten Zügen. Die Auflage ging zurück, wir verloren ständig Anzeigenkunden, und mir war nicht klar, wie Lotterman das durchhalten sollte. Um das Blatt in Schwung zu bringen, hatte er sich viel Geld geliehen, doch laut Sanderson hatte die Zeitung niemals auch nur einen Cent abgeworfen.
Ich gab die Hoffnung auf neue Gesichter nicht auf, aber Lotterman war aus Angst vor seinen »Saufköpfen« so übervorsichtig geworden, daß er jede Meldung auf seine Annoncen hin abwies. »Ich muß aufpassen«, erklärte er. »Ein Perverser mehr, und wir sind erledigt.«
Ich befürchtete schon, daß er für zusätzliche Gehälter eben kein Geld mehr hatte. Doch dann erschien eines Tages ein Mann in der Redaktion, der Schwartz hieß. Er erzählte, man hätte ihn gerade aus Venezuela ausgewiesen; Lotterman stellte ihn sofort ein. Jeder war überrascht, daß
Schwartz sich als äußerst kompetent erwies. Nach einigen Wochen hatte er alle früheren Aufgaben von Tyrell übernommen.
Das nahm viel von dem Druck weg, der auf Lotterman lastete, der Zeitung brachte es kaum etwas. Zuerst wurde sie von vierundzwanzig auf sechzehn und schließlich auf zwölf Seiten reduziert. Die Aussichten waren so trostlos, daß sich die Leute erzählten, EL DIARIO hätte bereits den Nachruf auf die NEWS produziert und könnte ihn jederzeit ins Blatt heben.
Ich empfand zwar keine Loyaliät gegenüber der Zeitung, aber ich fand es nicht übel, ein Gehalt zu bekommen, während ich die Angel nach etwas Größerem auswarf. Der Gedanke, die NEWS könnte eingestellt werden, machte mir deshalb langsam Sorgen. Ich fragte mich, warum es in San Juan mit all seinem neuen Reichtum nicht einmal genug Geld für eine englischsprachige Zeitung gab. Die NEWS war nicht preisverdächtig, aber immerhin lesbar.
Einen großen Teil des Ärgers verursachte Lotterman selbst. Eigentlich war er, was sein Handwerk betraf, durchaus kompetent, doch er hatte sich in eine hoffnungslose Lage gebracht. Als allseits bekannter Ex-Kommunist stand er immer unter dem Druck, beweisen zu müssen, wie sehr er sich gebessert hatte. Zu jener Zeit war für das State Department die Insel Puerto Rico Amerikas »Musterland in der Karibik – der lebende Beweis für erfolgreichen Kapitalismus in Lateinamerika« . Diejenigen, die gekommen waren, um den Beweis anzutreten, sahen sich als heldenhafte Missionare, die den geplagten Jíbaros die frohe Botschaft vom freien Unternehmertum bringen wollten. Sie haßten die
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