Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
die Vergänglichkeit von Fluxus, das Absichtslose und Bedeutungsarme, ich liebe Yoko Ono und Allan Kaprow (schmierte einen Ford Mustang mit Marmelade ein, leckte ihn mit einer Gruppe Gleichgesinnter ab und verbrannte ihn dann), mein Aktiönchen ist weniger pathetisch, Fluxus povero könnte man das nennen.
Bevor wir jetzt zum Happening schreiten, muss ich noch ein paar einleitende Worte loswerden. Meine erste leidenschaftliche musikalische Liebe galt einem amerikanischen Brüderpaar namens Ron und Russel Mael, ihre Band hieß und heißt immer noch Sparks. Meine erste mit dreizehn Jahren von Taschengeld gekaufte Platte war von ihnen, sie hieß «Kimono my House», und Max Goldt, dessen Urteil mir einmal nicht unwichtig war, sollte mir später zu dieser exquisiten Wahl gratulieren.
Man kann es als Gnade oder Glück bezeichnen, zufällig von den Sparks musikalisch initiiert worden zu sein, statt etwa durch Nirvana oder Rammstein, da schämt man sich mit Sicherheit später seiner Ohren, und dann hatte ich sogar mal die Gelegenheit, mit den zwei freundlichen Brüdern über den Nutzen von Daumen zu diskutieren («If I had a million thumbs. I’d twiddle, twiddle. But I just have two. Nothing to do. Nothing to do»). Wer gar nichts von ihnen kennt, höre sich nur mal «Suburban Homeboy» an, kurz, präzise, burlesk, aber gleichzeitig auch opulent, altmodisch und prächtig wie eine Kathedrale aus bröckeliger Baisermasse, weiß wie alter Schnee, das müsste ausreichen als Einstiegsgift. Bei einem Konzert der Sparks in Hamburg tanzte ich vor einigen Jahren zu diesem Lied mit Elvira, der Frau von Walter Moers, eng, während dem smarten Schöpfer von «Adolf, die Nazi-Sau» Tränen des Glücks in den Augen standen.
Nun gibt es von den Sparks viele schlechte, oder sagen wir, viele halbgute («Suburban Homeboy» ist von so einer halbguten) und auch wenige ganz schlechte Platten, aber «Kimono my House» kann als Meilenstein gelten, ebenso die zwei folgenden, «Propaganda» und «Indiscreet», das ist eigentlich ihr Fundament, ihre geschichtliche Leistung, ein unglaublicher Pomp und hysterischer Spaß überschnappenden Wahnsinns. Drei Platten zum mit in die Grube nehmen.
Auf «Indiscreet» befindet sich ein Lied namens «Under the table with her», das ich ganz besonders mag, nicht nur weil es vermutlich das einzige in der gesamten Geschichte der Musik darstellt, in dem ein Kotelett vorkommt, es ist eine Art Menuett, bei dem auch eine Blockflöte zum Einsatz kommt, und auf Konzerten singt natürlich jeder mit, man kennt den gesamten Text, weil er ausnahmsweise recht kurz ist. Der Text geht so:
Nobody misses diminutive offspring
Not when there’s big wigs there, there
Dinner for twelve is now dinner for ten
’Cause I’m under the table with her
I give a yelp and they throw me a cutlet
Somebody pats her hair, hair
Everyone’s nice to the subhuman species
I’m under the table with her
People all around the world are having only rice and tea
Two of them should come and take the place of Laura Lee and me
Meine kleine Aktion geht nun so: Ich habe den Text auf Aufkleber kopiert, die Rückseite kann man abziehen, nun gebe ich, nachdem wir unsere 32 Heringe aufgegessen haben, Momus einen davon und behalte selbst einen. Jeder von uns schreibt dann an den Rand fünf Personen, zusammen also zehn, die oben am Tisch sitzen, weswegen wir es vorziehen, uns unter den Tisch zu verziehen. Und das ist gar nicht so einfach, denn wenn man jetzt Adolf Hitler, Elvis, Franz Kafka, Beyoncé und Thomas Gottschalk schreibt, möchte man diese Gesellschaft doch nicht verlassen müssen, das könnte ja ganz spannend werden. Man muss also außergewöhnliche Langweiler finden, die aber nicht in der Summe dann doch wieder eine interessante Mischung ergeben. Momus entscheidet sich für die fünf Freundinnen, mit denen er am längsten zusammen war, die will er auf gar keinen Fall zusammenbringen, das stellt er sich schrecklich vor. Ich grüble und entscheide mich für ein fiktives Personal, Charaktere der amerikanischen Systemgastronomie, die ganz fiese Riege: Ronald McDonald, der Kentucky-Fried-Chicken-Mann (Colonel Sanders), Big Boy, Wendy, Mr. Softee, ich glaube, die reden nur Scheiße, und die Exfreundinnen von Momus reden gar nichts mehr, angesichts ihrer üblen Tischgesellschaft. Wir schreiben die Namensliste zum Liedtext, ersetzen noch «Laura Lee» durch den Namen des jeweils anderen (damit eines Tages jemand anderes uns hier unten erlösen
Weitere Kostenlose Bücher