Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
eine Metapher für den Verrat der kommunistischen Partei an einer großen Idee, sind bei mir Türen im Ozean: eine surrealistische Allegorie des pathetischen Scheiterns. Passt doch. Ich bin sicher, Basquiat, Kippenberger und Dalí hätte es gefallen.
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Unterm Tisch des Seepferdchens
Interesting place this, I like it here, I think I’ll stay and see what happens.
Television Personalities
Mein Freund, der Journalist Klaus Nüchtern, mit einer gewissen Grundmuffigkeit ausgestattet, wie er selbst sagt, aber weder Kulturpessimist noch Misanthrop, fährt, wenn er nach London reist, was nicht selten vorkommt, vom Flughafen direkt in die Tabard Street Nr. 44 im Süden Londons (U-Bahn-Station Borough), betritt das Royal Oak Pub, sucht sich ein Plätzchen und verlässt dieses nicht unter vier Pints Sussex Best Bitter, Sussex Old Ale oder Armada Ale von Harveys aus Leeds, erst dann ist er, sagt Nüchtern, angekommen (Namenswitze verkneife ich mir schon seit langem, und insbesondere hier). Ein anderer Freund, ein Finne namens Brandi Ifgray, ein Musiker, wies, als er das erste Mal am New Yorker John F. Kennedy Airport (gebaut von seinem Landsmann Eero Saarinen) ankam, den Taxifahrer an, ihn direkt und ohne Umwege ins CBGB’s zu fahren, den legendären Club in der Bowery in Manhattan, den es nicht mehr gibt. Der Laden hieß korrekt eigentlich CBGB & OMFUG (ein Akronym für « C ountry, B lue g rass, B lues and O ther M usic F or U plifting G ormandizers» ) und kann als Keimzelle von Punkrock betrachtet werden, der sich von hier aus über die ganze Welt verbreitete. Also, so ein grundmuffiger Gormandizer bin ich ebenfalls, auch wenn ich mit Punk und London nicht recht warm werden will, aber wenn ich nach Helsinki komme, führt mich der direkteste Weg an einen ganz bestimmten Ort, nämlich ins Sea Horse, und das aus dem einfachen Grund, weil dieses Lokal (Ravintola auf Finnisch) wie kein zweites all das verkörpert, was Finnland ausmacht. Diese Mischung aus dunstiger Melancholie und Demutskapitulation, alles passt so gut zusammen: die Einrichtung, das Personal, die Sitzkoben, das unterseeische Zwielicht, die sedierten Gäste, das wunderschöne Seepferdchenfresko an der Wand, eine kokonartige Einheit forcierten Bremsens. Keine Frage: der Vorhof zum Paradies.
Das Lokal in der Kapteeninkatu existiert seit den 1930ern, in einem beeindruckenden Jugendstilgebäude aus dem Jahre 1902, die finnische Version heißt Nationalromantizismus, das einer düsteren Burg ähnelt, mit Erkern und Türmchen und merkwürdigen, einer schwer nachvollziehbaren Logik folgend befestigten Balkonen. Erbaut wurde es von einem blinden, weit über Finnland hinaus bekannten Klavierstimmer namens Herman Walentin Schalin, der im Alter von zwölf Jahren sein Augenlicht infolge einer Scharlachinfektion verlor. Er war eine Respektsperson in der Stadt und führte stets ein geladenes Gewehr in seinem weiten Mantel bei sich. Seinen Kindern war es verboten, mit ihm zu sprechen oder ihn zu berühren.
Die große Zeit des Gasthauses begann 1959, als Olavi Paukku und seine Frau den Laden übernahmen. Ihr hausgemachter Senf galt als ganz besondere Delikatesse, die Leute ließen ihn sich eimerweise durchs Küchenfenster reichen, und so wurden auch immer die Tageseinnahmen zur Bank getragen, im Eimer.
Tyler Brulé, Gründer der Illustrierten Wallpaper und derzeit Chef von Monocle, dem fraglos bestfrisierten und zugleich überflüssigsten Magazin hier auf Erden, kürte das Sea Horse in Helsinki zu einem der zehn weltbesten Restaurants. Der Mann versteht sein Handwerk, denn welches Restaurant bekommt so eine Adelung, dessen Koch, laut Brulé, eine Elektroheizung ist («Executive chef: ‹Mr. Winston›, the kitchen’s electrical heater»)?
Das kann Momus nicht beeindrucken. Er verachtet Brulé, seine ganze scheißelitäre Haltung, die ihn beispielsweise einfach behaupten lässt, die Präsidentenmaschine Taiwans sei die beste Fluglinie der Welt, was ich wiederum gut finde. Mit Momus sitze ich jetzt im Sea Horse.
Momus ist Nicholas Currie, ein schottischer Musiker. Das Pseudonym hat er vom griechischen Gott des Spotts. Die Pet Shop Boys bezeichneten ihn als ihren perversen dritten Bruder («What is the cultural meaning of coming in a girl’s mouth? Do I wish to feed her or fill her mouth with filth?»). Er lebt in Osaka und hat nur ein Auge: Nach dem Reinigen seiner Kontaktlinsen mit griechischem Leitungswasser schlüpften irgendwelche
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