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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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Parasiten zwischen Auge und Linse und fraßen Ersteres auf. Ich frage ihn, ob er noch jemanden kennt, der durch Tiere sein Auge verloren hat, ich selber weiß nur von Harpo, dem schwedischen Sänger («Moviestar», «Motorcycle Mama»), dem hat ein Pferd ein Auge ausgetreten oder ausgebissen, so genau will man das nicht wissen (ich eigentlich schon). Momus fällt nur die Geschichte von Eric Hosking ein, einem englischen Vogelfotografen. Ich würde doch sicher dieses bekannte Bild Barn Owl with Prey kennen, die verdutzte Schleiereule mit der schlaffen Maus im Schnabel. Richtig bekannt wurde Hosking allerdings, als ihm ein Waldkauz sein linkes Auge aushackte. Seine Biographie musste dann natürlich «An Eye for a Bird» heißen.
    Momus deutet auf die rosa Lichter in den Fenstern. Klar, dass Brulé das hier gut findet. Ach, der ist schwul? Momus grinst sardonisch: «Supergay». Mehr beeindruckt ihn, als ich ihm erzähle, dass bei den Seepferdchen die Männchen schwanger werden. Die Stute spritzt ihre Eier dem Hengst in eine Brusttasche, wo er sie befruchtet und austrägt. Momus meint, für ein Seepferdchen hätte er natürlich lieber sein Auge gegeben. Eier im Auge: blind, und am Ende würden auch noch kleine Fohlen aus seinem Auge schlüpfen.
    Ich kenne Momus schon sehr lange. Vor fünfundzwanzig Jahren oder so war ich kurz Konzertveranstalter; in Graz hab ich damals einen kleinen Abend gestalten dürfen, bei dem Momus der Hauptact war. Als «Vorgruppe» trat Max Goldt auf, mit dem Wiener HipHop-DJ DSL (Danube Supa Leiwand), Goldt hielt zunächst einen langen Monolog über spezielle Igel unter bestimmten Tischen, zu dem DSL unaufdringliche Musik dudeln ließ. Das kulminierte in einer phlegmatisch gesprochenen Version des schauerlichen Matthias-Reim-Schlagers «Verdammt ich lieb dich», zu dem DSL sich und seine Platten in einen Furor kratzte, mit allen zur Verfügung stehenden Gliedmaßen, sogar mit dem Po, ein im besten Sinne merkwürdiger Moment. Dann betrat Momus die Bühne. Er kam mit einem Kollegen, beide gekleidet wie zwei Bankangestellte aus Bratislava, sie schleppten riesige Pappkartons mit sich, aus denen sie fabrikneue Robotron-Computer wuchteten, große klobige Geräte. Das war aber nicht Teil der Performance, wie man hätte meinen können, sondern Notwendigkeit, weil sie keine Zeit zum Soundcheck hatten – die Anreise von Glasgow nach Graz ist wohl etwas verschlungener, als ich mir das ausgemalt hatte (sie kamen mit dem Auto). Sie begannen ein apartes Konzert, das heißt, Momus tat es, er drückte dann und wann auf die Tastatur seines Computers und rief ein paar dürre Beats ab, spielte dazu akustische Gitarre, während der andere Mann nur in einer Art pataphysischem Stupor, ratlos und verlegen auf seinen Bildschirm starrte. Er war wohl nur mitgekommen, um die tonnenschweren Geräte zu schleppen, sein eigenes war erkennbar ein Alibigerät, es hätte auch ein Stück Holz sein können, oder ein Amboss.
    Ein Vierteljahrhundert später sitze ich nun also mit Momus im Ravintola Sea Horse (Momus sagt: Sea Whores). Gestern hatte er ein schönes intimes Konzert (diesmal lediglich von einem kleinen Telefon begleitet) in der Dubrovnik Bar in der Eerinkatu, sie gehört den Kaurismäki-Brüdern und ist Teil eines mit großer Liebe zum Detail eingerichteten Ensembles verschiedener, verschachtelter Lokale (Andorra Kultuurikompleksi heißt das), es gibt dort auch ein kleines Kino, eine Billardhalle und das Café Moskva, mit der muffigen Kellnerin mit den goldenen Zähnen, die kaum mehr als Russisch spricht, dem Matti-Pellonpää-Schrein in der Ecke (vor seinem frühen Tod war er Stammgast hier), der schweren, überlaut dröhnenden Musik von Dmitri Schostakowitsch und dem deprimierenden gastronomischen Angebot (Wurstbrote). Im Sea Horse hingegen serviert man die wunderbaren Baltischen Heringe aus der Bratpfanne, die Spezialität des Hauses, immer exakt 16 Stück pro Portion, dazu einen Klumpen pappiger Stampfkartoffeln und Nierensteine ausschwemmende, nach Grab schmeckende Rote Rüben, die den Zaubertrick beherrschen, den Urin hübsch dramatisch einzufärben. Obendrauf liegt noch ein Zweiglein Dill, denn ohne Dill geht in Finnland natürlich absolut gar nichts, Dill, die Posaune unter den Kräutern.
    Ich möchte mit Momus eine kleine Fluxus-Aktion machen, die ich sporadisch da und dort an außergewöhnlichen Orten mit sympathischen Menschen veranstalte. Es geht darum, eine kleine blasse Marke zu hinterlassen. Ich liebe

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