Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
zum Lachen bringt («Ich bin kein Spaziergeher, ich gehe schon lebenslänglich nur widerwillig spazieren, ich bin immer widerwillig spazieren gegangen, aber mit Freunden gehe ich spazieren, und zwar so, dass diese Freunde glauben, ich sei ein leidenschaftlicher Spaziergeher, denn ich gehe mit einer solchen Theatralik spazieren, dass sie staunen»). Eigentlich bin ich auch ganz woanders jetzt, der ebenfalls zur Theatralik neigende Wirt spielt in diesem Moment nämlich Leevi & the Leavings, «Elina mitä mä teen», das gerade bei einer Leserumfrage vom Helsingin Sanomat, der auflagenstärksten und einflussreichsten Tageszeitung Finnlands, zum dritttraurigsten Lied Finnlands gewählt wurde, auf Platz 1 natürlich Rauli Badding Somerjokis «Valot», Platz 2 ist «Muistatko Monrepos’n» von Annikki Tähti, ein Lied, so traurig wie eine tote Katze, eingewickelt in eine nasse Gardine.
Gösta Sundqvist, der Sänger von Leevi & the Leavings, starb übrigens 2003 mit 36 Jahren an einem Herzinfarkt.
Zumindest lebt Annikki Tähti noch, sie ist 83. Man muss also in Finnland nicht zwangsläufig früh sterben, aber es scheint irgendwie zum Konzept zu gehören.
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Was gibt’s denn da zu grinsen, Rumäne?
I wash my hands in the water of your toilet
I wash my hands in the beauty of your smile
And everytime I see your smile
I feel like drowning in the Nile
Felix Kubin
Darf nicht das gedacht werden, was gedacht werden kann ? Wohnt nicht jeder schwachsinnigen Idee zuallererst eine unschuldige Idee inne? Später erst erweist sich doch, ob sie brauchbar gewesen ist. Das Rad war eine gute Idee, Teebeutel, Windeln, Internet, das herrliche Brot natürlich, Reis, aber auch die Steine. Der Eurovision Songcontest ebenso. Vor allem für all jene, die sich über ihn ereifern, ihn verachten, sich aufplustern wie ein nassforscher Truthahn und die Musik des Contests minderwertiger finden als vermeintlich Wertvolleres, wie Arcade Fire (Fußballfangegröle), Bob Dylan (Schmuseballaden) oder Edvard Grieg (Fahrstuhlmusik). Und das beste Argument unserer Freunde, der Hüter der wahren Werte: Die Songcontestsongs wären «da draußen» ja gar nicht überlebensfähig. Ja, hat das denn irgendwer verlangt? Der Songcontest ist ein riesiger, aufgeblasener, herrlicher Zirkus, der nur einmal im Jahr auf unserem Planeten landet, dann zieht er weiter in andere Galaxien, und nächstes Jahr kommt er wieder. Die ganze Idee des Wettbewerbs ist, dass man in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Faszination vor ihm sitzt, gebannt, wie man von einem Autounfall gebannt ist, mit Toten, Verstümmelten oder auch nur schnöden Blechschäden, eine groteske Kollision, die abweicht von unserem linearen Denken und sich dann im Verlauf des Abends sogar noch steigert, mit diesem endlos sich hinziehenden, hingebungsvoll zelebrierten Wahlcrescendo, bei dem die Punkte über Europa und noch ein bisschen darüber hinaus verstreut werden. Diejenigen, die ABBA und Lordi, Udo Jürgens (beim dritten Anlauf hat’s geklappt) und Vicky Leandros als Sieger vorhergesagt haben, gibt es nicht, der Sieger ist hier völlig unvorhersagbar. Daran scheitern auch letztlich die Wettbörsen, die so tun, als wären sie besonders sensible Barometer für aktuelle Befindlichkeiten und Trends. Das Uraltargument, geopolitischer Punkteschacher mache alles vorhersehbar, stimmt auch nur bedingt. Warum ist etwa ein schiitisches, postsowjetisches Land im De-facto-Kriegszustand wie Aserbaidschan in den vier Jahren seiner Teilnahme so beliebt und belegt immer vordere Plätze, auch mit Unterstützung von unverdächtigen Nationen wie Dänemark und Andorra? Wer hier eine Interessensschnittmenge herzustellen in der Lage ist, möge bitte vortreten. Eher könnte man den Fluss der Punkte mit den riesigen über Europa verteilten Migrantengemeinden erklären, die aus der Diaspora ihr Heimweh stillen. Aber sind nun die Exilaserbaidschaner in Andorra wirklich so stimmenstark?
Um herauszufinden, was Aserbaidschan hat, was andere Länder nicht haben, oder worum es andere Nationen bewundern, fahre ich nicht, wie ursprünglich geplant, nach Düsseldorf, also zum Austragungsort des ganzen Irrsinns (30000 Fans in der Arena, 4000 Journalisten, 500 Millionen vor den heimischen Empfangsgeräten), sondern in die Hauptstadt des Landes, nach Baku.
Ich habe den deutschen Erfolgsschriftsteller Joachim Lottmann («Auf der Borderline nachts um halb eins», KiWi) überzeugen können, mich zu begleiten. Er lebt
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