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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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Beruhigung erzähle, lacht er bitter, aber sein Lachen ist ein nach außen gewendetes Weinen, so gut kenne ich ihn, er, der sich hier ausgesetzt fühlt wie ein maunzendes Kätzchen in einem Baum.
    Nichtsdestotrotz, und das ist ihm hoch anzurechnen, erklärt Lottmann entschlossen, er werde das jetzt hier aussitzen, wie Helmut Kohl 1989 den CDU-Parteitag, sechzehn Stunden mit einem Blasenkatheter.
    Wir gehen erst einmal essen, ein schönes Jiz Biz, ein Nieren-Lungen-Ragout, dazu ein Sogan Dolmani, eine mit gehackten Zwiebeln gefüllte Zwiebel und ein knuspriges Kartof Kateleti (Kartoffelkotelett, Triumph der pathozentrischen Küche), das alles wird mit einem großen Glas Schärbät heruntergespült, Milch mit Basilikum, Lottmann wird milder, der Schärbät zeigt seine Wirkung, er wird jetzt selbst dem Kellner gegenüber toleranter, der seine Langsamkeit mit Serviceübereifer zu kompensieren trachtet, indem er mit dem Tischstaubsauger zwischen unseren Tellern saugt, während wir essen, und durch diese Emsigkeit seinen eigentlichen Aufgabenbereich außer Acht lässt, woraus letztlich wiederum seine Langsamkeit resultiert. So ist das nun mal, nun sind wir schon mal hier, sei’s drum. Und wenn die Revolution nun nicht stattfindet, weiß man zumindest gewiss, dass man nie wieder hier in die äußerste Ecke Eurasiens muss und man das jetzt auch abgehakt hätte.
    Wir erkunden die Stadt, Qız Qalası, das winzige Altstadtgeviert, erweist sich als einziger Teppichladen, schlecht bedruckter Nadelfilz aus der Volksrepublik China, die Hafenpromenade Milli Park, eine Komplettverlade, junge Mädchen mit einer einzigen durchgehenden Augenbraue ergötzen sich an Seifenblasen, die ein Gaukler durch ein Tennisracket ohne Bespannung zieht, ein Affe bekommt eine Pistazie und spielt auf einem Miniaturschlagzeug, Lottmann nagt an einem Trockenfisch.
    Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen und uns nicht, hier alles gut zu finden, aber das verlangt ja auch keiner. Zumindest gibt es keine wilden Hunde, struppige Rudel, wie man sie überall findet, südlich von Klagenfurt, hinter den Karawanken und östlich von Pinkafeld, also ab der Pannonischen Tiefebene, wo sie die Städte terrorisieren, wo sind sie hin? Stattdessen Scharen grüner Sittiche, sind sie der Grund für den Hundeschwund? Wohl kaum. Eher fahren die Azeris eine kluge Kastrationspolitik, endlich mal was Gutes neben dem Schärbät.
    Der charakterlich beige Lottmann hält mir an den Gestaden der Bucht von Baku einen bizarren Vortrag über Jürgen Marcus («Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell»), er hat einmal für Martin Kippenberger einen Katalogtext geschrieben über den singenden Betriebsschlosser aus Herne, ausgehend von Kippenbergers berühmtem Gemälde, das den gleichen ingeniösen Karusselltitel hat wie der Song des Schnulzenfuzzies. Marcus sollte ja Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Deutschland als eine Antwort auf oder Bollwerk gegen die Charmeoffensive aus Amerika, Shaun Cassidy und Leif Garrett, aufgebaut werden, also als hausgemachter Mädchenschwarm, positiv, rein, weiße Zähne, unschuldig, blond. Er wurde dann aber doch nur Kanonenfutter für die Kriegsgeneration, vermutlich weil er schwul ist, was die avisierte Zielgruppe schnell durchschaute, die ihn mangels Interesse für die Omas freigab («Ihr könnt ihn haben»). Denen war Homosexualität sowieso egal, weil sie gar nicht existierte oder so abstrakt war wie eine aldebaranische Schlange (transparentes, fluoreszierendes Lebewesen, hat drei Köpfe). Auch Marcus trat beim Songcontest an (wer eigentlich nicht?), mit dem bizarren Song «Der Tingler singt für euch alle», eine Art Vorwegnahme des Erfolgstitels «Ein Song namens Schunder» der Gruppe Die Ärzte zwanzig Jahre später («Immer mitten in die Fresse rein!»), also nicht inhaltlich oder musikalisch, eher von der Titelkryptik her.
    Das Einzige, was ich titelbezüglich beisteuern kann, ist auf Halde gebunkertes Quizwissen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass mal irgendwo exakt diese Frage kommt: nämlich wie die deutsche Version von Sandie Shaws Songcontestsiegerlied «Puppet on a String» von 1967 hieß, sie hieß «Wiedehopf im Mai», wem fällt so etwas ein? Ein Lied mit einem Wiedehopf (auch Hoppevogel, Puvogel oder Hupatz genannt) im Titel, («O Darling, es ist herrlich gefährlich mit dir, wenn du wiederkommst, dann sing ich und spring ich zur Tür, wie ein Wiedehopf im Mai»), ist das nicht ganz

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