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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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exquisit, Lottmann? Ihn kann ich nicht beeindrucken, und mein flehentlicher Appell, ob er denn nicht verstünde, ein Wiedehopf im Titel, das ist unschlagbar, das fällt auf, wenn ich ein Reisebuch schriebe, würde ich es «Haltloses Reisen ohne Plan und Verstand, aber mit einem Wiedehopf aus Holz» nennen, der Titelvogel springt doch jedem ins sprichwörtliche Auge. Lottmann kontert lapidar, Shaws Eurovisionstitel habe im Original in Deutschland die Nummer 1 erreicht und sich 23 Wochen unter den Top 10 gehalten, wohingegen die Vogelversion lediglich einen mauen sechsunddreißigsten Platz schaffte, so viel zu meinen hochfliegenden Plänen. Das schüttelt dieser Autor so en passant aus seinem Ärmel wie andere die Uhrzeit oder ein Illusionist eine Piksieben.
    Am Abend, eher in der tiefen Nacht, Geisterstunde, weil die Uhren hier anders gehen, Zeitzonendifferenz: drei Stunden, fängt der Contest an. Wir entscheiden uns, ihn in einer Großraumdisco namens Psyhaterror mitzuerleben. Nur die Robustesten machen den Songcontest alleine mit sich in der Kemenate aus, so was muss man aber immer in Gesellschaft sehen. Der Liftboy unseres Hotels hat uns die Disco empfohlen, ein Fehler. Die Halle ist zugig, Lottmann bekommt alsbald Nackensteife, auch stopft er sich Klopapierkügelchen in die Ohren, «sonst könnte ich nicht bestehen». Der Saal ist halbleer und bleibt es auch, nur etwa fünfzig hirsutische Mädchen mit gigantischen Stöckelschuhen, auf denen sie sich kaum aufrecht halten können, sie gehen wie auf Stelzen, im Absatz eines Schuhs sah ich gar Goldfische schwimmen, und große Gruppen Jünglinge, nein, eigentlich Kinder, so um die zwölf schätzungsweise, noch kein Bart (den haben ja die Girls). Sie fläzen sich in den ausrangierten Möbeln, nuckeln an der Wasserpfeife, knabbern Pistazien und Labscha, geräucherte Labmagenstreifen, und nesteln aneinander, das ist hier nicht unüblich, Frauen machen das nicht, Männer an Frauen auch nicht, immer nur Jungmänner untereinander, einmal sah ich, kein Wort gelogen, in der U-Bahn zwei Unteroffiziere im vollen Wichs sich gegenseitig zärtlich Wangenkniffe geben. O.k., ich weiß, das sind nur die Keime, die vielen Keime in einem keimenden Körper, die irgendwie und irgendwo rauswollen, und hier im Psyhaterror liegen vor uns circa fünfzehn Zwölfjährige aneinandergekuschelt wie Ferkel in der Aufzuchtbox, nimm es einfach hin, so sind sie eben. Der eigentliche Wettbewerb wird hier gar nicht wahrgenommen, man ist total desinteressiert, nur wenn von der schrillen Moderatorin das Wort Aserbaidschan kommt, brandet müder Jubel auf. Begleitend wabert aus der Verneblernase einer Trockeneiskanone Bodenwrasen, die meisten der Buben sind sowieso schon eingeschlafen, wie abgelegte Tote, zu viel Rauch vermutlich, gnädig deckt der Nebel sie zu, er legt sich über sie wie eine Steppdecke.
    Was dann passiert, ist Geschichte, das kennt man bereits. Aserbaidschan hat gewonnen, mit einem vermutlich teuer bezahlten, aber anständigen Lied von irgendwelchen schwedischen Mietkomponisten, niemand brauchte den Sieg so dringend wie dieses Land mit seinem schwelenden Grenzkonflikt. Lottmann verschlief den größten Teil des Wettbewerbs, eigentlich komplett, wohl der eine oder andere Schärbät zu viel. Dann und wann reckte er den schweren Kopf und murmelte zusammenhanglos: «Was gibt’s denn da zu grinsen, Rumäne?» und «Nadine powerballadet wieder alle nieder», dann sackte er erneut in sich zusammen, es war immerhin schon drei Uhr morgens, alles hier, selbst die Zeit ist so langsam, zäh wie das Öl, das dem Staat seinen Reichtum schenkt. Ein Freund aus der Schweiz regte sich in einer SMS auf, zu Recht, der gute Beitrag der Schweiz sei so grausam unterbewertet geblieben, vielleicht solle die Schweiz auch einmal Krieg führen mit ihren Nachbarländern, danach würde es Punkte über Jahre hinweg hageln , Zynismus in Reinkultur, der jetzt hier auch keinem weiterhilft. Zur Österreicherin Nadine Beiler (Platz 18) meinte er, sie könne auch gut Werbung für Monatswatte machen, und wenn ihren Song eine Straßenkatze gesungen hätte, hätte er für sie angerufen.
    Als wir gehen, stöhnt Lottmann matt: «Nun haben aber die Sirenen eine noch schrecklichere Waffe als den Gesang, nämlich ihr Schweigen.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Das Dorf
In april 1981, at my request, my mother
went to a detective agency. She
hired them to follow me, to report my
daily activities, and to provide
photographic evidence of

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