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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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der Dunkelheit schnürt zusätzlich ein Fuchs zwischen ihnen hin und her, unermüdlich, und erreicht sie doch nicht, er bildet sich vielleicht ein, dass es nur ein Vogel ist. Am nächsten Morgen wird man geweckt durch das Quorren der Uferschnepfen, ein Sprung in den Kanal, neben mir treibt eine Zwiebel, wo die wohl herkommt? Die Bordbibliothek ist geschmackvoll monothematisch maritim bestückt, hier steht Knut Hamsuns «August Weltumsegler» neben Graf Luckners «Der Seeteufel».
    Am Abend gibt es einen kleinen Empfang auf Hillers anderem Schiff, dem Zollschlepper Tolleren. Fast alle von der gestrigen Bunnyshow sind gekommen, die Gruppe nennt sich Pappen, auch Erfolgsschriftsteller Wolfgang Herrndorf ist unter ihnen, er feiert die Vollendung des letzten Kapitels seines, wie er ihn selbst nennt, Trottelromans «Sand». Man kennt sich schon seit zehn Jahren, eine kleine Gemeinde, der vielleicht kreativste und produktivste Zusammenschluss im Internet: Einen Grimmepreis, fünf Bachmannpreise, acht Kinder und um die 50 Bücher sind bisher zu verzeichnen, man kommuniziert inzwischen auch innerhalb der Bücher untereinander, immer ist in ihnen auch eine kleine Ebene eingebaut, Formulierungen, Chiffren, Namen, die nur die Gemeinde versteht, jemand hat sie mal die «scheißelitäre Lounge der Erleuchteten» genannt. Man grillt Hühnerbeine und Gummikäse, am Rost steht einer, den sie Larry Erbs nennen, und da erklärt sich mit einemmal die Zwiebel aus der Spree heute Morgen, sie stammt vermutlich von so einer Grillparty, auf einem der anderen alten Schiffe hier, vielleicht jenem von «Kuchen-Udo», wie Hiller zu berichten weiß, seinem Nachbarn hier im Hafen, einem marinaffinen Konditor. Es ist so unglaublich ruhig und friedlich hier, dass man flüstern möchte, wenn die Gruppe nicht zum Grölen und Gackern neigen würde. Der Kapitän spendiert noch eine Spreefahrt mit der Barbara, man muss natürlich, als sei es ein Naturgesetz, im Verlauf der Reise die notorischen, am Ufer sitzenden und Aperol-Spritz Trinkenden anpöbeln: «Ihr habt den Bogen raus!» Das dient aber natürlich lediglich der Versicherung der eigenen fragwürdigen Einzigartigkeit, weil die am Ufer sowieso nichts verstehen, es sind in erster Linie Touristen aus Spanien und Italien, die glauben, dass das, was da vorbeifährt, das neue Berlingefühl ist, und schief grinsend denken mögen, dass wir unsererseits «den Bogen» raushätten, na, bei so einem Boot wie der Barbara liegt das ja auf der Hand.
    Am nächsten Morgen fahre ich mit dem Fahrrad zur Badeanstalt Plötzensee, gleich hinter der ehemaligen Strafgefangenenanstalt gleichen Namens, die ab 1933 als zentrale Hinrichtungsstätte Berlins diente. Allein in den Nächten vom 7. bis zum 12. September 1943 wurden in den sogenannten Plötzenseer Blutnächten über 250 Häftlinge erhängt, gruseligerweise bei Kerzenlicht, weil das elektrische Licht nicht ging. In der Badeanstalt ein wundervoller Eingangsbereich, zwei zweigeschossige, expressionistische Türme mit gezwirbelten Backsteinsäulen, auch hier treffe ich die Gruppe vom Schiff gestern wieder, im Wasser ist kaum einer, ein alter Mann hat eine eigenartige Schwimmtechnik, bei der er so gut wie gar nicht vorankommt, lange taucht er, man sieht nur seinen klobigen Rundrücken, dann erscheint der Rest an der Oberfläche, schnaufend wie ein Walross, und plötzlich prügelt er auf das Wasser ein, als müsse es für etwas büßen. Das geht Stunden so. Vielleicht ist er eine Amphibie, und wir sind Zeuge eines entscheidenden Schrittes der umgekehrten Evolution, ich kann aber nicht auf den Ausgang warten.
    Gerade will ich gehen, da taucht mit einemmal zu allem zaubrischen Überfluss auch noch eine große Gruppe missionierter Afrikaner auf, die erst polyphone Gesänge anstimmen, bevor ein Priester, komplett angezogen, ins Wasser geht und dort eine Reihe von ebenfalls voll bekleideten Leuten tauft, die sich dann nach hinten ins Wasser fallen lassen. So etwas kennt man doch nur aus Filmen, aber hier ist es umso pittoresker, während im Hintergrund übermütig die silbrigen Plötzen springen und ein paar Wasserhühner sich gnickernd an auf der Oberfläche treibendem Falllaub und Entengrütze schadlos halten. Fast hätte der Priester den einzigen Ungetauften (mich) in unserer Pappengruppe noch bekehrt und ins Wasser zur Taufe gebeten, indem er mich zielsicher aus der Menge von Zuschauern ausguckt und praktisch direkt anspricht, aber als einer aus der Gruppe, der

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