Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
Vom Netzwerk:
Interview mit ihm, Müller, weiterführe. Nein, das ist vielleicht ganz interessant, vielleicht will ja bei diesem nicht ganz geschlossenen Triangel Mark Ernestus auch etwas von mir wissen. Ernestus ist eine Legende, mir schnürt’s die Kehle fast, Chef des renommierten Plattenladens Hard Wax, in dem schon DJ Hell gearbeitet hat, der große Svengali und lizenzierte Fußballtrainer. Mit Moritz von Oswald produziert Ernestus Minimalmusik unter dem Namen Basic Channel, sie betreiben auch das Label Chain Reaction, das als eines der wichtigsten deutschen Techno-Labels der neunziger Jahre gilt. Von Oswald, der Ururenkel Otto von Bismarcks, der bei Palais Schaumburg («O Murmeltier aus Gipsbenzin, ich sengel dich, ich sengel dir») getrommelt und mit dem großen Billy MacKenzie Musik gemacht hat, der ergreifendsten Stimme der Musikgeschichte, vielleicht neben denen von Scott Walker, Jacques Brel und Roy Orbison, die sitzen jetzt alle zwar nicht hier am ranzigen Kotti in dem schmutzigen Möbelladen mit mir und Meisenmüller, aber zumindest Ernestus, der mit meinem Idol Rainald Goetz, dem Technokierkegaard, vermutlich auch auf Du und Du steht. Als ich folglich den Namen Goetz nenne, stöhnt Müller auf, und verfällt zu meiner Überraschung in eine kapielskihafte Kleinbürgermuffigkeit, das sei doch der, der sich die Stirn aufgeschlitzt hätte, in Klagenfurt, was mich wiederum aufstöhnen lässt. Ich erkläre ihm knapp, dass dieser Akt des Furors weit über den reinen physischen Schlitz gehe, eine pathetische Entäußerung des Zuviels in ihm, nicht zu kapieren, warum man das nicht kapieren kann, nach all den Jahren, gerade er, Müller, müsse das doch nachvollziehen können, einer von den Mitteilungsarmen ist er ja nun nicht gerade. Er kontert, der linke Unterarm seines Bruders Max sei übersät mit Narben von Schnitzereien, ja, das hab ich schon gesehen, aber das ist etwas anderes, das sind junge Leute, die sich spüren wollen, weil alles taub in ihnen ist oder sie sich einbilden, dass es in ihnen taub ist, weil es sich alle einbilden. Hilfesuchend wende ich meinen Blick Ernestus zu und frage ihn, ob er «Rave» kenne, Goetzens schmales Bändchen, sein poetischstes Werk, an dessen Ende die Protagonisten nach 72 Stunden Dauertanz vor Dankbarkeit, dass der Spuk nun endlich vorbei ist, auf der Wiese niederknien und den Tau von den Grashalmen lecken, ganz so wie Leutnant Glahn in Knut Hamsuns «Pan». Er lächelt verlegen, meint, er habe es «nicht so mit Büchern» (großartig, dass sich das jemand zu sagen traut), er kenne nur jene Stellen, wo er vorkommt. Ernestus betrieb zu allem Überfluss auch noch das berühmte Kumpelnest. Das Wort ist eine Schöpfung eines kanadischen Bekannten Müllers, der eines Tages zwei betrunkene Männer engumschlungen aus einer Erotikbar stolpern sah und sagte: «Das ist wohl ein Kumpelnest?» Um das muffig-asexuelle Wort «Kumpel» etwas aufzufrischen, entschied sich das Kellnerkollektiv, der Wortschöpfung «Kumpelnest» ein «3000» anzuschmiegen. Es war im Jahr 1987, und das Jahr 2000 dräute, da konnte man ja generös auch gleich noch einen Tausender draufpacken. Ernestus, der damals noch Kunststudent war, hat vielen seiner Mitstudiosi während und nach ihrem brotlosen Dasein einen (großzügig bezahlten) Arbeitsplatz verschafft. Er ließ ihnen bei Musikauswahl, Stilfragen etc. völlig freie Hand, was einen regelrechten Kreativitätsschub auslöste. Wer Lust dazu hatte, konnte sogar im Clownskostüm arbeiten oder Lichthemd, also nackt, Max Müller war dort jahrelang Putzfrau, allerdings angezogen. Karl Lagerfeld hat in dem Laden eine Serie von Fotos mit Claudia Schiffer gemacht, mir schwinden die Sinne, wenn ich daran denke, ich glühe für beide wie eine Narva-Birne. Lagerfelds Initialien hab ich mir als Sechzehnjähriger aufs linke Knie tätowiert, Claudia dagegen trägt an ihrem linken Innenoberarm die exakt gleiche Leberfleckkombination wie ich, drei Pünktchen, die wie die Knopfaugen und die Schnauze eines Eisbären aussehen, ich nenne sie mein Schiffersternbild.
    Müller erzählt von dem Abend, als Lagerfeld fotografierte, er sei auf jeden der zufällig anwesenden Gäste zugegangen und habe allen die Hand geschüttelt. Die Begrüßten waren überrascht, einige regelrecht verdutzt. Jemand namens Gunther, der oft als Dragqueen herumlief, saß in einem Leopardenimitatmantel und übergroßen Brüsten unter dem rosa Pulli neben Müller am Tresen. Lagerfeld fragte: «Ach, hätten Sie

Weitere Kostenlose Bücher