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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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aus denen vier traurige Strohhalme ragen, während keiner meiner vier Gäste gekommen ist. Draußen geht plötzlich ein gewaltiges Gewitter über Berlin nieder, Blitze, schwarze Wolken, Sturzbäche, ein wunderbarer Anblick, vom Inneren eines Pinsels aus betrachtet, wie der alte Westen früher, ringsum schützt einen die Mauer vor allem Unbill, man fühlt sich wohl wie ein Welpe mit anderen Welpen eingekuschelt in der Kiste oder eine Wespe im Kuchen, und dann: ich glaub’s nicht, spielen sie im Radio Berluc, die Hardrocker aus Luckenwalde, der Stadt mit der grandiosen Hutfabrik von Erich Mendelsohn: «Hallo Erde, hier ist Alpha, vor uns liegt Proxymed. Weit in die Galaxis leuchtet der Planet. Seht durch alle Meere bricht sein heller Schein. Alpha ruft die Erde», meine Lieblingsgruppe, eine meiner Lieblingsgruppen, also eine von vielen, eigentlich keine Lieblingsgruppe im engeren Sinne, na ja, Berluc ist wirklich zum Gotterbarmen schauerlich, so was wie Scorpions halt, hört man alle zwanzig Jahre ganz gerne wieder, am besten fünfmal hintereinander, allerdings nur dieses eine Lied, den Rest braucht man nicht, dann reicht’s auch wieder, «Wird uns noch eine Sonne wärmen, vor uns der neue Stern. Schon sind wir von der Erde, Lichtjahre fern. Wir fliegen durch das Universum, im Orbit-Samtanzug. Alpha ruft die Erde», und hier passt es ja, ich sag das zum Kellner, wie das doch alles wunderbar in den futuristischen Bierpinsel passt, Wolkenbruch, Pfeffernüsse, Hutfabrik, Proxymed, er sagt: «Bierpinsel? Nee, dit is der Lange Lulatsch, Keule», und jetzt wird mir (Keule) auch klar, warum niemand gekommen ist: Ich habe mich selbst versetzt, sitze im falschen Turm, im Funkturm nämlich. Wie konnte ich nur hier landen, ich kann mir das nur so erklären, dass ich in dieses architektonisch vollkommen anders aussehende, gleichwohl ebenso zauberhafte Bauwerk, das mich an den Besichtigungszentrum-Fernsehturm (kankõ sentã terebitõ) in Beppu erinnert, meiner Lieblingsstadt in Japan, wie in Trance, wie ein fremdgesteuertes Aufziehinsekt gelangt bin, nur mit dem einen hypnotisierenden Gedanken an etwas, das Bierpinsel heißt, alles andere ausblendend. Es ist ja auch ein immer wiederkehrender Traum von mir, durch Omsk zu spazieren und sich einzubilden, man sei in Worms, oder andersrum.
    Funkturm, Langer Lulatsch , und ich dachte immer, diesen Berliner Volksmund gibt’s gar nicht, so spreche kein Mensch, weil es einfach zu doof ist, jemand beim Tourismusverband habe sich das in Wirklichkeit ausgedacht, in der Hoffnung, das Volk werde es nachplappern, um dem Rest der deutschsprachigen Welt vorzugaukeln, was für kauzige Insassen Berlin doch hat.
    Muttermüller, meine Exfrau, Lobo und Jochen sitzen derweil im richtigen Pinsel und haben vielleicht gerade eine gute Zeit, vielleicht auch nicht, dann vertreiben sie sich die Zeit mit Pusteball oder Elektronen-Toto, was man eben so spielt, wenn Stillstand dräut, aber jetzt ist sowieso alles zu spät, ich zahle meine grünen Biere und schlurfe im strömenden Regen zurück zu meiner Barbara, schlafe schlecht, das Bett ist nass, im Boot steht zwei Handbreit die Kieljauche. Ich habe nämlich vergessen, die Kajüte zuzumachen. Aber egal, ich weiß jetzt, alle meine Berlinressentiments, sie sind weg, verpufft, Berlin ist gar nicht so schlimm, wie alle immer tun, es ist ein wunderbares Dorf mit lustigen Bewohnern, ein bisschen wie Schlumpfhausen, man muss nur das ultrahocherhitzte Touristenberlin, das sich wie eine dreckige Gardine über das Dorf legt, so weit es eben irgendwie möglich ist, zu ignorieren oder zu umgehen versuchen, dann geht’s. Die Feierlichkeiten zum fünfzigsten Geburtstag der Mauer hab ich verpasst, so wie ich fast alles verpasst habe. Dafür bin ich auf der anderen Seite so reich beschenkt worden, wie mich wohl kein anderer Ort in diesem Universum beschenkt hätte, außer vielleicht Proxymed. Und ich bin in diesen 72 Stunden in Berlin zwei Jahre älter geworden, so ist mein fünfzigster Geburtstag gnädigerweise auch an mir vorübergezogen wie ein Schiff in der Nacht.

[zur Inhaltsübersicht]
    Gloria
Toy city streets crawling through my sights
Sprouting clumps of mushrooms like a world surreal
This dream won’t ever seem to end
And time seems like it’ll never begin
30 seconds
And a one way ride
30 seconds
And no place to hide
30 seconds over Tokyo
Pere Ubu

    Ich hatte es also geschafft, hatte mich überwunden. Ich flog in die USA, wo ich vorher noch nie gewesen war.

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