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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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in den Ausschußkanal. Da kam Dörner nach vorn. Er schnitt ein, der Produktionsleiter nahm den eingeschnittenen Streifen von der Kalanderwalze ab und führte ihn bis zu Ruth an die Hülsenstange. Ruth führte auf, Warmbier regulierte die Drehzahl. Die Papierbahn breitete sich aus, sie lief, riß nicht ab, spannte sich und schlappte zurück und warf Wellen und spannte sich wieder krachend und plötzlich, aber sie hielt. Produktionsleiter Jungandres angelte nach seinem Spazierstock. »Ischt scho ganz schön.« Er sah Sosonaja um den Ausschußwagen schleichen. »Und laß dir von dem da kein Kind in ’n Bauch reden, du wirst das Ding schon deichseln.«
    Bis gegen Mittag verlief die Schicht nun ruhig. Das Papier war gleichmäßig trocken und fehlerfrei, mit jedem Wechsel wurde Ruth sicherer. Sosonaja kam nicht mehr nach vorn. Auch von den anderen ließ sich keiner blicken. Ruth wußte, daß nur Dörner zu ihr hielt und Jungandres, vielleicht noch der kleine Häring, der Erste von nebenan. Alle anderen waren gegen sie, offen die einen, versteckt die anderen, manche mit zwei Gesichtern. Ich werde es ihnen beweisen, |297| dachte sie. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Sie sah die beleidigten Gesichter der Mädels an den Pressen, sah das lauernde des Schmierers, sah die Holländermüller und die Gehilfen und den Rollerführer, und sie dachte: Nein, von denen nicht!
    Da aber sagte ihr Dörner, daß sie noch vor Schichtwechsel auf Sechzig-Gramm-Papier umstellen müßten. Er hatte die Maschine langsamer gefahren, hatte gehofft, die alte Sorte bis Schichtwechsel halten zu können, aber es reichte nicht. Was da anrollte, konnte auch einen gewieften Altgehilfen aus der Ruhe bringen.
    Papier wird hergestellt aus Holzschliff, Zellulose, Lumpen und gekollertem Altpapier, aus Kaolin, Alaun, Talkum, Schwerspat und Gips, aus Harzen und Farben und Leim. Wenn man von der Produktion einer Papiersorte zur Produktion einer anderen übergeht, ändern sich beim Übergang die Zusammensetzung und die Festigkeit, die Voluminösität und das Gewicht, die Farbe, der Oberflächencharakter und der Feuchtigkeitsgehalt. Die Maschine muß anders eingestellt werden. Die Umstellung geschieht bei laufender Produktion. Zulauf und Preßdruck, Tourenzahl und Heizung werden während des Laufs neu einreguliert. Um wenig Ausschuß zu fahren, versuchen die Maschinenführer, den Übergang möglichst kurz zu halten. Der Übergang ist aber um so schwieriger, je mehr sich die neue Papiersorte von der alten unterscheidet.
    Dörner stellte von einem achtziggrammigen auf ein sechziggrammiges Papier um. Das Papier wurde dünner, die Tourenzahl der Maschine mußte erhöht werden. Sie gingen von einer Sorte mit hohem Zellulosegehalt zu einer Sorte mit geringem Zellulosegehalt über, Holzpapier, dünnes, billiges, empfindliches Zeug.
    Je näher der Übergang kam, um so unruhiger wurde Ruth. Sosonaja lauerte. Sie kletterte in den Holländersaal hinauf. Die Rührbütte war noch halb gefüllt, im Holländer aber lief |298| schon die neue Sorte. Auch hier lauerte einer, Traugott, der Holländermüller. Ruth lehnte sich an die Druckleitung. Nebenan, am Holländer der zweiten Maschine, öffnete der Herr Zebaoth den Zulaufschieber. Dörner kam nach oben, er nahm sie beiseite. »Eine Rolle noch. Dampf drosseln und die Zunge gerade ins Maul.«
    Aber sie fand keine Ruhe. Sie lief an der Maschine entlang, sah die Schaber nach, drehte an den Stellrädern der Umlauffilze. Ihre Unruhe steckte auch den zweiten Gehilfen an. Der dumpfe Lärm der Halle brach über sie herein, die Hitze hing über ihr wie ein stickiges Tuch, die Bluse klebte naß an Schultern und Rücken. Das vertraute Geräusch der Maschine erschien ihr fremd und drohend. Überall hörte sie Nebengeräusche. Lief da nicht ein Lager heiß? War nicht ein Filz verlaufen, ein Fehler in der Bahn?
    Dann gab Dörner das Zeichen. Die neue Sorte war schon am Sandfang. Ruth steckte einen Einleger in die Rolle; was jetzt noch auflief, war Ausschuß und mußte später abgerissen werden.
    Irmchen, die Pressensteherin, stand an der Maschine und beobachtete das Sieb; bei ihr riß die Bahn zuerst. Riß und lief sofort am Machon hoch. Ruth pfiff den ersten Gehilfen an die Rolle und begann den Machon abzuspritzen. Sie hatte Glück: das nasse Papier ließ sich herunterdrücken, lief nun in den Kanal. Vorn aber hatte der zweite Gehilfe die Übersicht verloren, ein Feuchtfilz war verlaufen. Warmbier kletterte auf die Antriebsseite. Inzwischen

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