Rummelplatz
lief die Rolle leer, schleuderte, rotierte immer schneller, die Stange schlug gegen das Schloß. Warmbier sprang von der Maschine, aber er kam zu spät. Die zentnerschwere Papierrolle flog aus der Lagerung, knallte auf den Rollenbock, platzte an der Aufschlagstelle zentimetertief auf.
Hinten führte Ruth den Streifen in die Pressen, erreichte die Trockenpartie, sie wußte nicht, was vorn los war. Das Papier war so trocken, daß die Bahn vor Elektrizität knisterte. |299| Die Maschine war bei wenig gedrosseltem Dampf leergelaufen. Dörner kam vom Sandfang geklettert, schrie etwas herüber, Ruth verstand nicht, aber sie nickte. Da erhöhte Dörner am Schaltpult langsam die Tourenzahl.
Was nun kam, war ein Inferno. Später konnte sich Ruth an keine Einzelheit erinnern, alles verschwamm ineinander, es gab keine Reihenfolge mehr, keinen Zusammenhang. Eine Stunde lang kämpften sie mit der Maschine. Der Dampf gehorchte ihnen nicht, überhitztes Papier, dann klatschnasses, Verunreinigungen, die Bahn riß in der Trockenpartie, in der Naßpartie, an den Kalandern, quetschte sich unter die Schaber und hob sie aus, ein Filz verlief, der Ausschuß verstopfte den Kanal; kaum war die Bahn vorn aufgeführt, riß sie hinten wieder ab; Ausschuß auf den Laufstegen, auf den Pressen, im Mittelgang, in den Durchgängen, an der Rolle; heißgelaufene Lager, ein Trockenzylinder wickelte sich voll Ausschußpapier, dann noch eine Umkehrwalze. Ruth hatte keinen trockenen Faden mehr am Leib. Die ganze Mannschaft schrie und fluchte und schwitzte, sie arbeiteten mit der Anspannung einer erbitterten Schlacht. Es war kein klarer Gedanke mehr zu fassen; die Maschine zermürbte ihre Beherrscher. Als die ersten Arbeiter der Mittelschicht in die Halle kamen, ließ Irmchen auch noch einen armstarken Ballen Ausschuß über den Machon auf das Sieb fallen, die Walze wurde ausgehoben, schlug aufs Sieb zurück, es war unbrauchbar. Da gab Dörner auf. Er stellte die Maschine ab.
Vor der Umkleidekabine versammelte sich die Belegschaft der Nachbarmaschine mit den Arbeitern der Mittelschicht. Gewerkschafts-Traugott und sein erster Zuträger kamen bereits umgezogen aus dem Holländersaal. Er sagte laut: »Sieb und Feuchtfilz zuschanden fahren, aus der wird mal ein Maschinenführer, so was hat die Welt noch nicht gesehen! Fünftausend Mark im Eimer, in einer Schicht!«
Die Ablöseschicht blickte finster. »Unsereinen würden sie einsperren«, stichelte Sosonaja.
|300| Ruth räumte Ausschuß aus dem Kalandergang, sie hörte jedes Wort. Und die Worte waren gemacht, um von ihr gehört zu werden. Die Männer waren jetzt eine Partei. Dieses Mädchen wollte sie von den geheiligten, bevorrechteten Arbeitsplätzen der Männer verdrängen? Wollte sich nicht zufriedengeben mit den langweiligen, schlechtbezahlten, unqualifizierten Schmutzarbeiten? Aber es gab eine Gerechtigkeit in der Welt, man sah es nun!
Häring sagte schwach: »Daß das Sieb hin ist, dafür kann sie nichts. Irmchen hat …«
Aber er kam nicht auf gegen die anderen. Sie wollten sich bestätigt fühlen und ließen keine Vernunftgründe gelten. Jahrhundertelang waren sie untertan gewesen aller Obrigkeit und ausgebeutet von allen, und nur eins hatte noch unter ihnen gestanden: ihre Haustiere – und ihre Frauen. Und nun erlebten sie, wie die Frauen ihnen ebenbürtig werden wollten, ihren Platz beanspruchten. Da dachten sie nicht an die Schwüre, die sie einst ihrem Mädchen geschworen hatten, dachten nicht an ihr brünstiges Jünglingsgegockel und an ihre ersten Liebesnächte, da dachten sie nicht an die Hungerjahre und das Unrecht, das sie mit ihren Frauen gemeinsam getragen hatten, dachten nicht an die Mütter, die sie geboren hatten und behütet, und nicht an ihre Töchter, denen Ruth eine Schwester sein könnte; in dumpfer Wut saßen sie da, eingesperrt in ihre Männerwelt, eingesperrt in den Horizont von Vorurteilen, von Egoismus, von uralten Sprüchen.
Der Schmierer Maassen: »Das ist das neue System! Die Kinder werden über die Väter gesetzt, die Frauen über die Männer!«
Der Herr Zebaoth: »Sie können sich ja nur halten dadurch!«
Sosonaja: »Sollen sich an den Kochtopf scheren und den Kindern den Rotz abputzen. Aber die hat ja keine. Ich möchte ja so eine nicht geschenkt haben. Die wird schon wissen, weshalb sie keine kriegt!«
|301| Und der Herr Zebaoth: »Dagegen kann man nichts machen. Sie ist eben in der Partei.«
Und schließlich der Fahrstuhlführer Meier, einfach Meier,
Weitere Kostenlose Bücher