Rummelplatz
nicht gesucht hatte, auf das er nicht vorbereitet war und das zu unwirklich ist, um Wirklichkeit werden zu können. Und konnte nun auch dies nicht finden, da er sich nicht fand. Ja, es ist wohl so: Der Mensch ist allein, weil er kein Ziel hat, er findet den Anderen nur unterwegs und findet sich nur durch die anderen; er findet nichts, wenn er nicht aufbricht.
Am anderen Morgen fuhren sie ins Dorf. Stellten die Bretter ab an Leopold Bradls umgitterten Garagenhof, der jetzt nur unberührtes Weiß war wie alles abseits vom Wege, was immer es auch im Sommer sein mochte, Galerie, Garten, Café. Sie kauften ein paar Kleinigkeiten und blieben über Mittag bei Hoff. Hoff lebte vom Fremdenverkehr; er hielt die Hütten instand, die dieser und jener Feriengast in der Umgegend besaß, und betrieb im Winter einen Schi- und Rodelverleih, einen kleinen Laden für Sportbedarf und eine noch kleinere Reparaturwerkstatt für allerlei Flickarbeiten. Hoff war in jungen Jahren aktiver Slalomläufer gewesen, er hatte einen guten Namen in der Wintersportwelt. Alt war er |172| auch jetzt noch nicht. Vierzig vielleicht, aber der Krieg – er war Gebirgsjäger gewesen, wie die meisten Männer aus dem Dorf – hatte ihm eine Schulterverletzung eingetragen, er konnte den linken Arm nur mit Mühe bewegen.
Sie blieben über Mittag bei ihm und aßen in der kleinen, blitzsauberen Wohnküche. Alles war einfach und schlicht, ohne dabei ärmlich zu wirken, auch Hoffs Frau und die beiden Kinder, elf und vierzehn Jahre alt, strahlten die gleiche Ruhe und Einfachheit aus wie Hoff selbst. Sie hatten die natürliche Bedächtigkeit von Menschen, die alles, was sie besitzen, mit ihren eigenen Händen erarbeitet haben, die wissen, was das Brot kostet und was der Stuhl wert ist, auf dem sie sitzen. Hoff war auf eine ganz selbstverständliche Weise Mittelpunkt der Familie, die Kinder hörten zu, wenn er sprach, und er hörte zu, wenn die Frau oder die Kinder etwas sagten. Manchmal fragte er die Frau um Rat, dann sagte auch sie mit einfachen Worten, wie man dies und jenes am besten tun könne und was von dieser und jener Sache zu halten sei. Sie sprach ihrem Mann nicht nach dem Munde, beide hatten eine Meinung, und beider Meinung wog. Draußen im Laden hatten Irene und Martin die Urkunden von Hoffs Siegen gesehen, sauber unter Glas gerahmt, und alles, was mit dem Sport zusammenhing, interessierte alle hier. Die Frau und die Kinder wußten, wer welchen Rekord innehatte, sie sprachen über Bestzeiten, über Weiten beim Spezialsprunglauf, über die Aussichten dieses und jenes Schiläufers oder Rennrodlers, und als Hoff sagte, es sei ein Glück, daß nun wieder richtige internationale Wettkämpfe ausgetragen würden, nickten sie zustimmend, als sei dies eine Sache, die jeden von ihnen ganz persönlich anging.
Später braute Hoff eigenhändig Kaffee. Irene half ihm; Martin war mit Frau Hoff und den Kindern in den Hof gegangen, um den Bobschlitten zu besichtigen, den Hoff gebaut hatte. »Wissen Sie«, sagte Hoff drinnen zu Irene, »der Mann braucht eine tüchtige Frau und die Frau einen tüchtigen |173| Mann, das ist die Hauptsache. Dann kommt auch alles andere in die richtige Ordnung.« Und er sah sie dabei mit einem halb zugekniffenen Auge an, als wollte er sagen: Wie ist das denn nun eigentlich mit euch beiden …
Auf dem Rückweg zur Hütte sagte Irene: »Sie sind alle so ganz anders, wie aus einer anderen Welt. Aber es ist schön, so zu sein.« Und sie glaubte es in diesem Augenblick wirklich. Und auch Martin dachte: Vielleicht rede ich mir alles nur ein, vielleicht ist wirklich alles ganz einfach.
Sie sahen auf das Dorf hinab. Ein dünnes Rauchfädchen drieselte über Hoffs Haus in den Himmel und ein dickeres über dem Gasthof, und die Luft war so klar, daß sie sogar die Zäune hinter den Höfen erkennen konnten und die Schneefänge. Und der Himmel war aus blauem Packpapier, wie von Matisse gemalt. Der Schnee blendete in der Sonne, die schon tief zwischen den Bergen stand; sie sahen die Spur hinter sich, in der sie gekommen waren, und vor ihnen war die Spur vom Morgen und vom ersten Tag, denn es war kein Schnee gefallen seit ihrer Ankunft.
Dann kam der Silvesterabend. Irene hatte leere Weinflaschen und Kognakflaschen aus dem kleinen Holzschuppen an der Hütte geholt, die schon wer weiß wie lange dort lagen, und auf jeder befestigte sie eine Kerze. Martin drehte an der Radioskala, der Auto-Bradl hatte ihnen die Anoden-Batterie aufgeladen. Die Musik kam von
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