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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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war drüben in der Raschauer Flur ein Mädchen gefunden worden, vergewaltigt, erwürgt. Die Täter, zwei junge Burschen, hatte man zwar kurz darauf ergriffen, aber eine Woche später fand man am Eibteich einen Polizisten, drei Messerstiche im Rücken. Von den Mördern keine Spur. Und der Kumpel, den man in der Bahnschneise fand, oben bei Johannstadt, mit gebrochenem Genick? Man fuhr noch immer auf Wagendächern und Trittbrettern. War er vom Zug gestürzt, war er gestürzt worden? Und die Geschichte, die Kleinschmidt in Aue gehört hatte? Ein vierzigjähriger Obersteiger war in der Nacht nach dem Lohntag durch das Scheibenholz nach Hause gegangen, ein kleines Wäldchen nur. Er bekam von hinten einen Schlag über den Schädel, er hatte nichts gehört und nichts gesehen. Als er wieder zu sich kam, fand er sich ausgeplündert bis aufs Hemd; reichlich tausendfünfhundert Mark, der Ausweis weg, die Uhr, sämtliche Papiere.
    Und Peter Loose ward sich plötzlich bewußt, daß heute ebenfalls die Nacht nach dem Lohntag war, der Dreizehnte, obendrein ein Freitag. Er trug noch fast seinen gesamten Lohn bei sich, neunhundert Mark, soviel Geld hatte er noch nie auf einem Haufen besessen, er hatte im letzten Monat |239| gut verdient. Er war rechtschaffen froh, als er nun den Waldrand erreichte und vor sich im Tal das Dorf sah.
    Drüben am Bahnhof baumelte das ewig trübe Lämpchen, ein Signal dahinter, grün, ein paar Streckenlichter. Peter sah auf die Uhr, es war erst sieben. Ein Güterzug rumorte aus dem Tunnel heraus. Ingrid hatte wieder mal Spätdienst, sollte man hinübergehen? Im Jugendheim war Freitag nichts los, oder genauer gesagt, Montag nichts, Dienstag nichts, Freitag auch nichts. Blieb noch der »Gambrinus«, die wirtlichere der beiden Bermsthaler Kneipen. Und die trübsinnige Baracke. Kleinschmidt würde wahrscheinlich auf dem Strohsack liegen und schwarten, Mehlhorn war eingefahren. Ja, man hatte in Kleinschmidts Schicht übergewechselt, der Kapelle wegen, wie sollten vier Leute zusammenkommen, die in drei verschiedenen Schichten arbeiten? Kleinschmidt hatte das mit Hilfe des Steigers Fischer arrangiert, war eigentlich ganz sympathisch von dem Alten, aber er sollte sich nicht einbilden, daß man ihm nun bis in die Steinzeit zu kniefälligem Dank verpflichtet war. Das taten sie ja immer; sie gaben den kleinen Finger und wollten dafür die ganze Hand, wenn möglich mit dem kompletten Kerl dran.
    Währenddessen stand man aber bereits vor dem Bahnhof, und da man einmal hier war, ging man auch hinein. In der Wirtschaft war es wie stets an Zahltagen: proppenvoll, verqualmt, bierdunstig. Drüben hinter der Theke hantierte Ingrid an den Bierhähnen. Sie sah zur Tür herüber, nickte ihm zu. Peter ging hinüber, gab ihr die Hand, lehnte sich dann mit dem Arm auf die Schankarmaturen und bestellte ein Bier. Ingrid trug immer noch das Talmikettchen am Handgelenk; als sie seinen Arm berührte, rieselten ihm die dünnen Metallglieder über die Haut. Weiß Gott, sie wußte genau, wie sie es anstellen mußte, ihn verrückt zu machen.
    Peter sah sich um. Die Kleiderhaken an den Wänden waren vollgehängt mit Wattejacken, Gummiklamotten, speckigen Mützen. An der Säule neben dem Schanktisch klebte |240| ein Steckbrief, fünftausend Mark Belohnung, gesucht wird wegen Mordes … Peter schreckte plötzlich auf; er sah das grobrasterige Foto in der Mitte des Plakates, das breite Gesicht mit den hervortretenden Jochbögen, dem hängenden rechten Mundwinkel; war da nicht eine Spur Blut, eine Hand, die darüberwischte? Er sah Ingrid an, die seinen Blick zu erwarten schien, ihm Antwort nickte. Da war er wieder, sein erster Tag in diesem Dorf, hier war es gewesen, hier an dieser Stelle; die drei mit dem Würfelbecher und der, den sie Emmes nannten. Der Gedanke, hier, genau hier, wo jetzt der Steckbrief hing, neben einem Mörder gestanden zu haben, sich mit ihm eingelassen zu haben, sprang auf in ihm, beklemmend und fieberhaft. Der Kellner äugte von unten her und schwoll vor Bedeutung.
    »Toll, was? Wenn der dir das Ding in die Rippen gehauen hätte!«
    Er war es. Er hatte den Polizisten umgebracht, oben am Eibteich, hinterrücks. Und Peter sah ihn durch den Wald gehen, den Unbekannten, er hatte ein sonderbar vertrautes Gesicht, jung, nichtsahnend, sah ihn in beklemmender Deutlichkeit. Der Kellner stand immer noch, blödes Bescheidwissen im Gesicht. Was war hier schon ein fremder Tod – verglichen mit einem Mörder, dem man eigenhändig

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