Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
Schmierölbüchse.
    Als die nächste Fuhre beladen war, sagte Ruth: »Jetzt ist Schluß; wir fahren abwechselnd. Eine du, eine ich.« Sie schob seinen Protest beiseite, fuhr los. Die Karre hing schwer an den Armen, aber sie lief gut. Und sie holten den Vorsprung doch noch auf, ehrlich, Beimler wachte eifersüchtig darüber, daß Konrad und Regine keine künstlichen Pausen einlegten, um Ruth und ihn herankommen zu lassen. Als sie dann Feierabend machten, stand die Sonne schon tief. Sie huckten sich die Werkzeuge auf, betrachteten stolz die ebene Fläche, die sie geschaffen. Sie waren ein gutes Stück vorangekommen.
    Ruth hatte wenig Lust, auf den asthmatischen Omnibus zu warten, der noch immer mit Holzgas fuhr; sie ging den |232| Waldweg quer über die beiden Hügelkuppen, deren Fuß die Fahrstraße in vielen Kurven und Schleifen umschlang. Die Tannen stiegen kerzengerade in den hohen Himmel, und manchmal fiel ein Streif der niedrigen Sonne unversehens über eine Schneise, einen Holzschlag.
    Ruth liebte diesen Weg. Dort am Hang hatte sie einmal ein Reh äsen gesehen, manchmal hoppelte ein Hase über die Schonung. Das Wild aber war selten geworden im Gebirge, seit den Förstern die Jagdflinten beschlagnahmt waren; allenthalben wurde gewildert, mit Schlingen und Fallen, mit versteckten Waffen. Mitunter streiften auch sowjetische Soldaten durch den Wald, schossen auf Wildkaninchen aus schweren Nagan-Revolvern, trafen sogar. Der Ballerei wegen waren die Hirsche schon sechsundvierzig südwärts über die tschechische Grenze gewechselt, in die dichten böhmischen Wälder – so erzählten jedenfalls die alten Pilzgänger im Dorf.
    Als Ruth die Fuchsdelle erreichte, brach langsam die Dunkelheit nieder. Es war ein guter Tag. Sie ging ihren Weg in der frohen und gelösten Stimmung, die aus dem Gefühl kommt, den Tag genutzt, etwas geleistet zu haben. Mit der Dämmerung kam die Abendkühle, der Wald verschwendete seine Gerüche.
    Den Stülpnersteig herab kam ihr dann einer entgegen, einer in umgekrempelten Gummistiefeln. Sie trat zur Seite, denn der Weg war schmal, wer abrutschte, tat einen Satz von zehn Metern. Der da kam, ging dicht am Abhang entlang, ein wirrer Blondschopf, schlaksig, drahtig. Er starrte sie unverfroren an, frech, kann man schon sagen, es schien ihm aber irgendwas wider den Strich zu gehen, denn er drehte plötzlich den Kopf weg und guckte Löcher in den Wald. Als sie vorbei war, hatte sie das Gefühl, daß ihr jemand in den Rücken starre. Sie drehte sich um – und wahrhaftig: da stand er und gaffte. Ein schnippisches Bröcklein lag ihr auf der Zunge, aber es blieb wohl besser ungesagt; so ein Bursche, mitten im Wald, wer weiß. So ging sie denn weiter, aber sie wußte |233| schon: der stand da immer noch und äugelte wie ein Schafbock. Bitte schön, sollte er ruhig Wurzeln schlagen.
    Oben am Waldrand fiel ihr dann ein: Natürlich, das war doch der Klampfenklimperer, der manchmal ins Jugendheim kam. Welcher Wind blies denn den hier vorbei? Und was hatte er sie so anzustarren? Sie sah noch einmal zurück, aber der Weg war nun dummerweise von einem Waldzipfel verdeckt, da war nun nichts mehr zu sehen.
    Die Begegnung vergaß sich schnell. Vor ihr lag das Wiesenstück, das an die Hinterzäune der Siedlung grenzte; das Licht im dritten Haus aber bedeutete: Vater war zu Hause, im Herd war schon Feuer, hinter der Zeitung kräuselten die Machorkawölkchen. Sie ging quer über die Wiese. Sie freute sich auf den Abend, auf die paar Handgriffe Hausarbeit, auf den Vater, dem sie endlich erzählen konnte. Und da wartete auch noch das Buch auf sie, das sie vorgestern zu lesen begonnen; ein fingerdick Seiten noch, hundert vielleicht. »Wie der Stahl gehärtet wurde«.
     
    Peter Loose kam aus Georgenthal; er war nach der Frühschicht mit dem Bus hinübergefahren, ins große Warenhaus, um einzukaufen, was es in Bermsthal nicht gab. Auf die Rückfahrt hätte er eine Stunde warten müssen, da hatte auch ihn das Wetter verlockt. Die Entfernung betrug laut Verkehrsschild zwölf Kilometer, die Straße verlief jedoch in zwei rechten Winkeln, und nach Luftlinie gerechnet, waren es höchstens fünf Kilometer, soviel wußte er. Nun sind allerdings fünf Kilometer über Berg und Tal und Stock und Stein ein eigen Ding; noch dazu wenn man – wie er es nannte – frei nach Schnauze marschiert. Schlag sechzehn Uhr war er in Georgenthal aufgebrochen; auf dem Stülpnersteig, als er so unvermutet Ruth Fischer traf, war er schon gute zwei

Weitere Kostenlose Bücher