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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Staatssekretär drüben im Gespräch und denkt: Wie diese so sind, und die Hinzugekommenen von der Pike auf, so ein Strukturwandel ein bißchen sonst nichts, Lewin, das hast du nicht gesehen, das ist dir nicht gekommen, Lewin, was hofftest du auch zu finden unter denen? Kommt einer von weit, kommt einer von dort, findt nichts.

|482| XVII. Kapitel
    Erst hielt sie es für einen Scherz, wie man manchmal im Zwiegespräch den Ton eines Dritten anschlägt, nicht anwesend, aber beiden bekannt, man macht sich ein bißchen lustig: Das und das würde der jetzt sagen und so oder so würde er’s, der ist halt so. Dann, noch immer seiner sicher: Das kann doch nicht wahr sein. Sie saß auf dem Rollentisch der dritten Maschine, die Beine untergeschlagen; wie er vor ihr stand, war er sehr nah, und die Geräusche der beiden Maschinen waren als Raum spürbar wie immer – erst als das aussetzte, dachte sie: Aber er sagt es so seltsam …
    »Wirklich«, sagte Nickel, »ich kann mir nicht vorstellen, wie du das begründen willst, ich nicht, und was sollen da erst die Genossen sagen? Wirklich, du mußt dir das mal überlegen. Das ist doch nicht von ungefähr, wenn sie dich in die Kreisleitung haben wollen, da kannst du dich doch als Genossin nicht einfach hinstellen und sagen: Ich will nicht.«
    Einfach, dachte sie. Und sah ihn stehen in fremder Beredsamkeit vor dem Weiß der Papierbahn, Unschuldsleinen, die knappe Distanz anfüllen mit Argumenten, die gut sein mochten für die unpersönlichen Entfernungen gedruckter Programme – aber hier? Und nichts von ihnen, nichts von ihr, von ihm nichts. Die Rolle des Jugendverbandes und Frage der Grundhaltung und Perspektive Parteiapparat und Zurückweichen vor der schwierigen Aufgabe würde man sagen, würde man sagen; es war die Kälte eines leeren Zimmers. Und das hier, dachte sie, bedeutet denn das nichts? Siggi Hahner kam vom Kalander, blieb stehen, sah herüber, den Kopf vorgeneigt und die Augenbrauen hochgezogen wie immer, wenn etwas nicht war, wie es sein sollte, kam aber nicht näher. Häring beobachtete ihn an der Rolle der Nachbarmaschine, |483| ging die Trockenpartie durch, die Walzen und Filze, es lief alles normal, aber dann bemerkte er wohl, daß es nicht das war, und sah nun auch her. Fragen würden beide nicht, das wußte Ruth, aber sie sahen. – Warum sah er nichts?
    Er war in ganz anderen Gegenden.
    Tochter eines alten Genossen und wer denn, wenn nicht sie, und: deine Verlobte wird es heißen; begreift sie denn nicht, was sie da anrichtet …
    Aber er hatte schon bemerkt, wie sie alle herstarrten. Es konnte nicht ihr letztes Wort sein, er mußte noch sprechen mit ihr – er verschob es auf den Abend.
    Als er gegangen war, war sie sehr müde. Aber der Schlaf ist das fernste Land, das es gibt, das ist kein Raum wie dieser: warm, summend, ein Bau aus Geräuschen. Sie spürte ihn wieder, erwachte jäh, der Rollenwechsel war überfällig, die Gehilfen an ihren Plätzen warteten, die Arbeit blieb. Der Wechsel war schwierig, da sie zu lange gewartet hatte, aber er gelang mühelos, und sie wunderte sich nicht darüber, nur die Gehilfen zeigten anerkennende Gesichter. Sie dachte: Aber warum drängt er so? Meine Arbeit hier ist wichtig, ich habe etwas bewiesen und bin noch nicht am Ende damit, ich habe das nicht angefangen, um aufzuhören vor dem Ziel. Überhaupt, es muß etwas von Dauer sein. Und ist er nicht selber dafür gewesen, gerade er; es muß ihm doch etwas bedeuten. Warum also will er nicht einsehen, daß ich ablehnen muß, daß mein Platz hier ist, und daß dies keine Art ist, immer etwas anfangen und nichts beenden. Und, wenn das wahr ist von vorhin: wovor hat er Angst? Ist denn einer ein schlechter Genosse, wenn er nein sagt?
    Aber was sie mehr enttäuschte, war: sie sah den Mechanismus. Der Kreissekretär der FDJ befragt die Kreisleitung der Partei, womöglich wird Grundbuch und Fragebogen ihres Vaters überprüft, dann befragt der Kreissekretär den Parteisekretär des Betriebes und den Kaderleiter, der wird, wenn er nicht eben mit ihr verlobt wäre, ihre Personalakte |484| befragen, so wird einer eingekreist, und ganz zuletzt erst, wenn man seiner sicher ist, wird der befragt, um den es geht. Aber das ist dann eigentlich schon keine Frage mehr.
    Was ist das?
    Sie ging am Abend nicht zu ihm, sie fuhr nach Hause.
    Aber von dem Gedanken kam sie nicht los. Er wird warten, dachte sie. Was ist bloß los mit uns, ich kann ihn doch nicht einfach warten lassen, mutwillig, nur

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