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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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nie erfahren. Jemand, der mal gesagt hat: Es hat wenig Sinn, gegen Unvermeidliches anzurennen – Kleinschmidt? Bergschicker? Hermann Fischer damals im Schacht? Irrer Aufstand gegen historische Gegebenheiten, Gefühlsrevolte. Immer nur Wiederholungen? Oder hinnehmen, anerkennen, was ist, es ist nicht rückgängig zu machen, ist aber zu verändern, vielleicht? Zeit genug, alles erneut zu filtern, wie damals im Krankenhaus, und nur die Ursachen sind andere, nur! Wahrheit der Wände. Wie man hineingerät, ist die eine Frage, was einem bleibt, eine andere. Und da ist die Pritsche, da ist die Tür, in meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Und dies ist mein Kamm, dies meine Zahnbürste.
    Gespräche.
    Laß mir die Kippe die Kippe einen Zug einen. Es soll eine Amnestie geben. Ja. Zu Piecks Geburtstag. Ja. Zum achten Mai vielleicht. Ja. Tag der Republik. Ja. Bis zu drei Jahren. Ja. Straferlaß. Ja. Hab noch eine Scheibe Brot für eine halbe |529| Flöte halbe Zigarette drei Züge. Kocialek immer. Schieß ab Hühnerficker. Werdet ihr aber mir nicht gehorchen und meinen Namen nicht heiligen und nicht tun diese Gebote alle, Dertinger. Will ich euch heimsuchen mit Schrecken und Dürre, daß euch die Angesichter verfallen und der Leib verschmachtet, und wo ihr mir entgegenwandelt und mich nicht hören wollt, so will ich wilde Tiere unter euch senden, die sollen eure Kinder fressen und euer Vieh zerreißen, ich will die Pestilenz über euch schicken, und eure Städte sollen wüst liegen, und ich will eure Leichname auf eure Götzen werfen und das Schwert ausziehen hinter euch her. Schnauze. Denn die Vielheit, welche sich nicht zur Einheit erhöht, ist Verwirrung. Denn die Einheit, welche nicht Vielheit ist, ist Tyrannei. Denn es wird eine Zeit kommen, da werden …
    Nacht, Nacht.
    Die Wanzen, der Jahreszeit entsprechend, sind es nicht. Hingegen. Es gibt Dinge, die kann keiner erfinden. Hiller sowieso. Wenn die Scheibe fade Wurst ausgeliefert wird, bringt der seine Geheimrezepte in Umlauf. Thymian, Majoran, Pfeffer schwarz und weiß. Oder aber Bratwurstfleisch. Zwiebel ganz klein gehackt, wenig Knoblauch, Basilikum, Curry. Entweder. Oder Kardamom, Spur Pfefferkuchengewürz, staunt der Laie. Das wässert den Gaumen. Das bellt im Gedärm. Das geht noch. Hingegen nachts. Noch den klebrigen Brotgeschmack, den Sodakaffee, das Affenfett. Nicht eigentlich Hunger, aber knapp darunter, ewiger Kohldunst von Mittag, Ekel, die idiotische Kaubewegung, das Schlucken nichtvorhandener Speise, der Bauch, riesige Höhle, ungesättigt in Ewigkeit, Absonderung der Speicheldrüsen grundlos, 1,5 Liter pro Tag, Appetitneurose, das staut sich und bricht über die Reizschwelle und bricht herein nachts: Bratengeruch, der Duft frischer Brötchen, Gurken armdick, das Fleisch der Früchte, die Milch schwarzbunter Kühe, Käse, der läuft, Saft der Rindslende und die Sanftheit mehliger Kartoffeln, Hammelbraten, grüne Bohnen wie Spargel |530| zart, Specklinsen und rötliches Rauchfleisch, Kartoffelpuffer, goldgelb gebräunt, Fett, das in der Pfanne brutzelt, gesalzene Butter vom Faß und das milde Gelb eines Eidotters, Koteletts unterm sämigen Flaum des Meerrettichs, Eisbein fleischig und Sauerkraut und die Beize des Gesalzenen, pralle Tomaten in Zwiebel dünstend und Öl und Pfeffer, Pilze wie Kürbisse, das enorme Blau eines Karpfens in Zitrone, und Zimt und Muskat und Lorbeer und Sellerie die ganze Nacht. Oder: zwei bis drei Tage in Buttermilch gelegte Hasenkeule waschen, die Knochen auslösen, das Schweinefleisch durch den Wolf drehen und würzen mit Salz, Pfeffer, Thymian, anstelle der Knochen Fleischmasse einfüllen, die gefüllten Keulen in Speckstreifen wickeln und in heißem Fett braten, begießen, zuletzt mit Rotwein. Dr. Oetkers Kochbuch. Knastologen nämlich sind solche seltsamen Figuren, wissen Sie, die lesen sogar das.
    Eines Tages wird dann Hiller abgeholt. Eines Tages wird Kocialek verknackt zu zwei Jahren drei Monaten. Eines Tages wird einem der Pflichtverteidiger vorgestellt. Eines Tages holt sich Müller seine drei Jahre und geht tags drauf auf Transport. Eines Tages erneut Verhöre, mäßige Anteilnahme der anderen. Eines Tages zwei Zugänge, ein Bäuerlein, still ergeben in die Wechselfälle des Schicksals, ein Warenhausdieb. Eines Tages wird Kocialek zum Gehilfen des Knastfriseurs befördert. Eines Tages zieht ein Wismutfahrer ein mit dem Delikt der Zunft: Benzindiebstahl. Eines Tages wird man einem Herrn vorgeführt, der stellt

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