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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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merkwürdige Fragen nach merkwürdigen Witzen, die man längst vergessen hat. Man erfährt eines Tages, daß es ein Delikt gibt, genannt Boykotthetze, strafbar nach Artikel sechs der Verfassung nebst Kontrollratsdirektive achtunddreißig, die Knastbrüder haben einen anderen Namen dafür, das erfährt man von Dertinger. Eines Tages auch wird man aus dieser Zelle in eine andere sortiert aus unersichtlichem Grund. Eines Tages schließlich wird man rasiert und auf menschlich hergerichtet. Man steht eines |531| Tages vor seinem Richter, zwei Tage dauert der Prozeß, das rauscht vorüber, Beweisaufnahme, Zeugenvernehmung, Plädoyers, der Herr Staatsanwalt beantragt, das Gericht zieht sich zur Beratung zurück, die Angeklagten haben das letzte Wort, oder vielleicht war die Reihenfolge auch anders: Urteilsverkündung. Man findet sich wieder, man weiß nun, was weiß man nun, weiß man nun?
    Josef Kummer, 5. 4. 45 bis … man wird es nie erfahren. Kalk einer anderen Mauer, Licht zur Verhinderung von etwas, der Schritt der Kaffeeholer, vergebliches Gleichmaß der Frühe. Die hier liegen, sind schon ruhiger, vertrauter mit den Gesetzen der Innenräume auf Zeit, vier Jahre, Mann, die sitz ich auf ’m Scheißhausdeckel ab, auf ’ner Rasierklinge kannste die absitzen. Ja, aber für jeden liegt der kürzeste Weg woanders. Angeklagter Loose, wollen Sie uns schildern, was sich im Oktober neunundvierzig in der Bahnhofsgaststätte Bermsthal zugetragen hat? Angeklagter Loose, was haben Sie zu den Vorfällen im Jugendklubhaus bei jenem Tanzabend zu sagen? Black and blue, der Saal biegt sich, die Eier erschrecken in der Pfanne, jemand prügelt jemanden, der wirft ein Schnapsglas, das trifft die Gitarre, das reißt den Lack auf, reißt einen Schnitt in die Hand, aufspringt der Gitarrist, springt von der Bühne zu Burschen und Maiden, knallt dem Kerl eine, geht sich dann den Finger verpflastern. Nichts, hohes Gericht. Angeklagter, hatten Sie nicht vielleicht doch im Oktober neunundvierzig eine Schlägerei? Waren Sie nicht vielleicht doch beteiligt an den Zwischenfällen auf dem Weihnachtsmarkt? Würden Sie uns, wenn es Ihnen nichts ausmacht, einmal schildern, wie Sie im Jahre einundfünfzig zu Ihrem Schädelbruch und dem anschließenden Krankenhausaufenthalt gekommen sind? Haben Sie nicht, schon bevor auf dem Parkberg die Polizei eingreifen mußte, gegen die Sowjetunion gehetzt? Bestreiten Sie etwa die Aussagen des Zeugen sowieso sowie Ihre eigenen Aussagen in der Voruntersuchung? Nur teilweise, hohes Gericht.
    |532| Und bei so einem Vater, so einem Stiefvater, Schundliteratur wurde schon damals 1951 im Spind gefunden, bezeichnend. Damit halten wir für erwiesen. Fortgesetzt Schlägereien, unordentlicher Lebenswandel, bezeichnendes Verhältnis zur antifaschistisch-demokratischen Ordnung und zur großen Sowjetunion. Übrigens: die Gegend hier hört im Volksmund auf den schönen Namen Klein-Texas, wissen Sie? Angeklagter, es ist hier von mehreren Zeugen übereinstimmend ausgesagt worden, wollen Sie denn immer noch? Nein, hohes Gericht. Für jeden liegt der kürzeste Weg woanders.
    Zeuge Hermann Fischer. Der Zeuge Hermann Fischer sagt vor allem und zunächst für den Angeklagten Bergschicker aus. Er übergibt dem Gericht eine Stellungnahme der Kumpels, eine Beurteilung der Schachtleitung und eine der Parteigruppe. Dann spricht er über den Angeklagten Loose. Er übergibt eine Beurteilung der ehemaligen Brigademitglieder, ferner eine solche der Fuhrparkleitung, wo hat der die bloß her? Was geht denn das den an? Er erklärt, Loose sei einer seiner besten Arbeiter gewesen. Getuschel im Saal. Ganz hinten sitzt Margit. Ganz hinten sitzen Spieß und das Radieschen. Ein paar Sekunden später, und Spieß hätte auch hier vorn sitzen können, Anklagebank. Der Angeklagte Bergschicker. Der Angeklagte Bergschicker stellt die Ereignisse so dar, wie sie auch der Angeklagte Loose dargestellt hat, allerdings mit mehr Glaubwürdigkeit. Es sieht so aus, als sei der Angeklagte Bergschicker tatsächlich zufällig in die Geschichte geraten. Ja aber dem steht entgegen die Aussage der Zeugen sowieso und sowieso. Der Angeklagte Bergschicker hat nämlich zugeschlagen, Widerstand geleistet, sich der Festnahme widersetzt, dem Volkspolizeiwachtmeister Röhl den Arm ausgerenkt. Stimmt das, Angeklagter? Ja, aber. Aber? Na hören Sie mal. Sie als Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei müssen doch wissen. Sie gerade.
    Nacht. Nacht. Und immer die gleichen Bilder,

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