Run! - Es geht um dein Leben: Thriller (German Edition)
kaum von Interesse für sie.
»Aha«, sage ich. Meine Beobachter – jetzt kann ich sie sehen, sie versuchen nicht einmal, sich vor mir zu verstecken – schauen zu, wie ich mit dem Mädchen spreche. Ich frage mich, was das für sie bedeutet. Am liebsten wäre ich weggerannt.
»Was machst du denn hier?«
Ich sollte in der Schweiz sein, wo ich angeblich Finanzwirtschaft studiere. »Ähm, also, ich studiere an der Universität in Genf, und mein Tutor hält einen Vortrag an der Tulane University. Ich begleite ihn.« Für mich klingt das sehr unglaubwürdig, aber ich zwinge mich zu einem Lächeln und deute auf das Schaufenster mit den billigen T-Shirts. »Du hast mich in einem nichtakademischen Moment erwischt.«
Roula lacht. »Wie lange bist du denn noch da?«
»Ich fliege am Samstag.«
»Wir auch.« Und dann fängt sie natürlich an, sich nach meiner Mutter und meinen Cousinen zu erkundigen, wie das bei uns so üblich ist – sie weiß, dass meine Brüder und mein Vater tot sind und erwähnt sie nicht.
Ich antworte ihr schnell, erkundige mich nach ihrer Familie und weiß mir nicht anders zu helfen, als auf meine Uhr zu sehen. »Das war eine nette Überraschung, Roula, aber ich muss wieder auf den Campus. Ich habe leider nicht genug Zeit für einen Stadtbummel eingeplant.« Ich grinse verlegen.
Sie lächelt mich an. »Es war schön, dich wiederzusehen, Khaled.«
»Ich habe mich auch gefreut, dich zu sehen.« Ich drehe mich um, gehe weg und sehe mich nicht um. Mein Ausflug, meine Ausbildung, alles ruiniert. Zwei Straßen weiter riskiere ich einen Blick. Bis eben hatten mich zwei Beobachter verfolgt, jetzt ist es nur noch einer. Der andere beschattet jetzt natürlich Roula.
Ich werde ins Haus zurückgebracht und ausführlich befragt. Ich erkläre, dass sie eine Freundin von zu Hause ist und Architektur in Amerika studiert. Dass sie harmlos ist.
»Aber du solltest gar nicht hier sein«, sagen meine Lehrmeister. »Was, wenn sie ihrer Familie oder ihren Freunden erzählt, dass sie dich hier gesehen hat?«
»Ich habe ihr eine Geschichte erzählt, die zu meiner Tarnung passt«, sage ich, und sie lachen, aber nicht, weil es lustig ist. Ich hoffe immer noch, dass sie sagen, es sei ein Test gewesen und Roula würde zur Organisation gehören. Aber das sagen sie nicht.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, frage ich niedergeschlagen.
»Du hättest nicht mit ihr reden sollen. Du hättest dich umdrehen und gehen sollen.«
»Aber sie kennt mich doch. Wenn ich weggelaufen wäre, wäre sie misstrauisch geworden …«
»Aber sie wäre nie sicher gewesen, dass du es gewesen bist. Du hast mit ihr gesprochen. Jetzt weiß sie zu viel.«
Eine kalte Hand greift nach meinem Herzen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich bin hergekommen, um zu lernen, wie man etwas Gutes tut, wie man jene tötet, die sterben müssen, aber nicht Unschuldige wie Roula. »Was geschieht jetzt?«, sage ich schließlich.
Meine Lehrmeister sehen sich an. »Die Telefone ihrer Familie in Beirut werden angezapft, E-Mails und Post werden ebenfalls überwacht. Wir werden sie abhören, um herauszufinden, ob sie erzählt, dass sie dich hier gesehen hat. Wenn sie es nicht tut … gut. Wenn sie es tut … nun ja. Wir werden sehen. Aber du bist schuld daran. Lass dir das eine Lehre sein, die du nie wieder vergisst.« Als wäre ich ein unartiger Schuljunge, der sich gerade seine Schläge mit dem Lineal abgeholt hat.
Ich weiß nicht, ob ich ihnen glauben soll. Mir ist schlecht, weil ich Angst habe, dass sie Roula heute Nacht umbringen. Ich gehe wieder auf mein Zimmer, weil sie es mir befohlen haben. Ich lege mich auf mein Bett und starre die Decke an. Mir ist, als würden sie mich beobachten. Das hier ist ein Test, und ich habe ihn nicht bestanden.
Die Tür geht auf. Einer meiner Lehrmeister, der, der Mr Night genannt wird, kommt herein und macht die Tür hinter sich zu.
»Wird man sie töten?«, frage ich sofort.
»Nein«, sagt er. »Du hältst uns wohl für ziemlich impulsiv. Oder grausam.«
»Was unsere Arbeit angeht, bin ich Realist.«
Mr Night nickt mir zu. »Falls es notwendig sein sollte, wird jemand mit ihr sprechen. Er wird ihr nachdrücklich deutlich machen, wie wichtig es ist, dass sie schweigt. Dass du hier bist, muss geheim bleiben.«
Ich muss schlucken. Nachdrücklich kann vieles bedeuten. Aber wenn er sagt, dass man sie nicht umbringen wird, glaube ich ihm das. Mein Leben ist in der Hand dieser Leute, ich muss ihnen vertrauen. »Ich
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