Rune der Knechtschaft
Mann, auf den Ihr Euch verlassen könnt, falls …«
Marikani wandte sich zu Arekh um.
»Ich bin da«, sagte dieser schlicht.
Harrakin ließ Marikanis Arm los, und die beiden Männer musterten sich einen Moment lang, bevor Harrakin sich mit einem völlig natürlich wirkenden Lächeln wieder umdrehte. »Sehr gut! Dann bin ich ja erleichtert.«
Er zog Marikani mit sich in die Gärten und erzählte ihr mit heiterer Stimme den neuesten Hofklatsch.
KAPITEL 13
Das Hofleben ging bald wieder seinen gewohnten Gang. Marikani war am Morgen, der nach den Traditionen Harabecs dem Privatleben vorbehalten war, unsichtbar. Im Palast verlief dementsprechend alles gemächlicher, zumindest für die Adligen und ihre Gäste, die langsam in ihren Gemächern erwachten; die Sekretäre, Assistenten, Mitglieder des Gefolges, Diener, Sklaven und andere einfache Leute waren bereits beschäftigt, lasen, putzten, verhandelten, kochten oder gärtnerten, je nachdem, worin ihre Aufgabe bestand. Dann kamen die Mittagessen, die generell privat eingenommen wurden, bevor im Laufe des Nachmittags der Palast zu einem Bienenstock wurde, während die Temperatur stieg. In anderen heißen Regionen markierte der Beginn des Nachmittags den Beginn der Ruhephase, zu der man sich in die dunklen, kühlen Innenräume zurückzog. Nicht so in Harabec. Der Palast war Verella geweiht, und überall floss Wasser in kleinen Rinnen aus rosa Marmor, die manchmal ein oder zwei Fuß breit waren, sprudelte in Springbrunnen oder ruhte in Becken, bevor es wieder zurückfloss.
Viele Adlige lebten freiwillig das ganze Jahr über im Palast und ließen ihr eigentliches Zuhause irgendwo auf dem Lande zurück, um hier, im politischen Zentrum des
Staates, ihren Geschäften nachzugehen. Sie arbeiteten also in der Sonne, geschützt von riesigen Baldachinen, in den Gärten oder auf den Höfen. Die Korridore und Schreibzimmer waren überlaufen. Boten, Diener und Sekretäre trafen sich unter Bäumen, um die Handelsströme des Landes zu regeln. Marikani hatte sich in ihr Schreibzimmer zurückgezogen und sah die Sonnenstrahlen nur durch die Fenstertüren, die auf kleine, private Höfe hinausgingen, die niemand betreten durfte.
Wenn die Sonne unterging, verlangte die Tradition, dass die Adligen und Würdenträger des Hofs sich in den Bädern trafen - Männer und Frauen gemeinsam - und sich nackt zu Ehren Verellas reinigten. Die Diener trugen schmackhafte Speisen und Getränke auf, aromatisierte Tees, Honig- und Früchtekuchen, kaltes Fleisch, Obst und Brot, und die Höflinge räkelten sich neben steinernen, mosaikenverzierten Schwimmbecken, unter dem Schutz offener Säulenhallen, zwischen deren Pfeilern hindurch sie die Abenddämmerung herabsinken sahen und die ersten Nachtinsekten singen hörten.
Düfte stiegen aus dem Garten auf, Intrigen wurden gesponnen, Liebschaften kamen in einem Blick oder einem Lächeln zum Ausdruck, und politische Bündnisse wurden in Gesprächen geschlossen oder aufgekündigt. Danach musste man sich entscheiden, womit man die Nacht beginnen wollte, ob bei einem Ball, einer Abendgesellschaft in den großen königlichen Sälen des Hauptgebäudes oder einem der privaten Feste, die von diesem oder jenem, der Rang und Namen hatte, gegeben wurden - oder noch besser, in den verschwiegenen Gemächern, in denen Halios oder Marikani einige Vertraute empfingen, nachdem sie sich auf den Bällen hatten sehen lassen, die ihnen wichtig erschienen. Man ging im Park spazieren, verlor sich in
Bosketten oder im Wald des zweiten Mauerrings, sah dem Tanz der Monde zu oder unterhielt sich über den Lauf der Sterne und versuchte, die Zukunft daraus zu lesen.
Die Kühnsten warteten, bis zwischen den Statuen die Morgendämmerung anbrach, bevor sie in ihre Zimmer zurückkehrten, die für die am meisten vom Glück begünstigten luxuriös waren, für die, die noch nicht in hoher Gunst standen, dagegen nur aus Kammern unter dem Dach bestanden. Diese hatten vielleicht Grundstücke in der Hauptstadt, Ländereien und eine Burg in der Provinz, aber sie zogen es vor, in einer Mansarde zu hausen, statt sich von dem Ort zu entfernen, an dem die wahre Macht wohnte.
Der Prozess warf seine Schatten voraus. Halios und Marikani teilten sich offiziös den Palast. Halios hielt im Ostflügel Hof und beschwor seine Anhänger, Geduld zu haben, da die Wahrheit nicht lange brauchen würde, um ans Licht zu kommen. Er tat, als müsse er sich gegen den »schädlichen Einfluss dieser Kreatur der Abgründe«
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