Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
Vom Netzwerk:
übernommen.
    Marikani hatte ihm alles anvertraut, was sich aus dem Vertrag ergab, den sie mit Viennes in der Tränenstadt unterzeichnet hatte. Der Vertrag musste vom Hohen Rat der Fürstentümer ratifiziert werden. Um das zu erreichen, war eine ganze Reihe von diskreten diplomatischen Missionen nötig: Bestechungsgelder, heimliche Zusicherungen
… Das war eine Aufgabe, für die Arekh in der Tat alle notwendigen Fähigkeiten mitbrachte.
    Arekh war Marikani zu den meisten Veranstaltungen gefolgt, an denen vielleicht auch Halios teilnehmen würde, nur für den Fall, dass Halios sich zu einer unbedachten Tat hinreißen ließ.
    Da gleich am Tag nach ihrem Gespräch in der Anzeige von Arekhs Ernennung erwähnt worden war, dass er in den Fürstentümern für Vatermord und Meuchelmorde verurteilt worden war, hatte Arekh mit dem Schlimmsten gerechnet, aber die Reaktionen waren sehr unterschiedlich ausgefallen. Ganz gleich, welches Entsetzen seine Vergangenheit hervorrufen mochte, er nahm nun eine Schlüsselposition in Harabec ein, die weitaus wichtiger war, als er es sich vorgestellt hatte, und die meisten Höflinge fühlten sich gezwungen, mit ihm auf gutem Fuß zu stehen.
    In ihren Blicken hatte er alles gelesen: Faszination, Ablehnung, Neugier und sogar eine gewisse Bewunderung. Und Furcht. Ja, Furcht. Arekh hatte mit einem gewissen Erstaunen bemerkt, dass man ihn für weitaus gefährlicher hielt, als er in Wirklichkeit war.
    Die Umstände hatten ihm eine Aura verliehen, die über seine Person hinausging.
    Er war plötzlich an Marikanis Seite aufgetaucht, als sei er aus dem Nichts erschienen. Seine Vergangenheit war kriminell, seine Handlungen rätselhaft. Er hatte Halios geschlagen. Er folgte Marikani wie ein Schatten. Ja, die Höflinge hatten Angst, und es fehlte nicht viel, und sie hätten ihm noch übernatürliche Kräfte zugeschrieben.
    Warum nicht? Furcht war immer noch angenehmer als Abscheu.
    Aber Arekh erkannte sich in diesem Spiegelbild nicht wieder - oder besser gesagt nicht mehr . Vor einigen Jahren
hätte er es zu schätzen gewusst, gefürchtet zu werden, hätte sogar damit gespielt …
    Jetzt war er sich da nicht mehr so sicher.
    Marikani war noch nicht eingetroffen, als Arekh den Ballsaal betrat und den Raum in Augenschein nahm. Weder Halios noch Harrakin waren anwesend, aber ein neues Gerücht machte die Runde im Saal: Der Hohepriester würde den Prozess vorverlegen.
    Lor Mestina, der von allen auf dem Fest Anwesenden den höchsten Rang bekleidete, war mit einigen anderen Adligen in ein angeregtes Gespräch darüber verstrickt. Sie schwiegen sofort, als Arekh sich ihrer Gruppe näherte. Arekh sprach mit niemandem. Er schenkte sich Tee ein und wartete nahe an einer Wand, während die Adligen Karten spielten und miteinander plauderten. Ein wenig weiter entfernt erklang Musik, aber nur drei Paare tanzten bisher; die anderen waren zu sehr mit den Neuigkeiten beschäftigt.
    Ein Mann mittleren Alters, gut gekleidet, aber mit nach Alkohol stinkendem Atem, trat auf Arekh zu - um ihm ohne Einleitung zu verkünden, dass er die Heimatgegend der Morales gut kannte und dass die Familie erst seit zweihundert Jahren adlig sei, was aus Arekh einen Emporkömmling mache. Er wiederholte dieses Wort noch zwei Mal und berauschte sich geradezu an seiner Beleidigung. Arekh fragte sich gerade, ob er sich gekränkt fühlen sollte, als ein Bote erschien, um ihm zu sagen, dass Marikani ihn in ihr Amtsschreibzimmer bat.
    Sie hatte, wie der junge Mann sagte, einen wichtigen Brief erhalten, dessen Inhalt sie mit ihm besprechen wollte.
    Da Arekh nicht wusste, wo sich das Amtsschreibzimmer befand, bot ihm der Bote an, ihn hinzuführen, und Arekh folgte ihm auf den Hof hinaus.

    Der junge Mann kannte den Palast gut. Er ging auf einen der Nebeneingänge des Südflügels zu und schloss ihn mit einem Schlüssel auf, den er um den Hals trug. Arekh folgte ihm hinein und lernte so einen der vielen Teile des Palastes kennen, die er noch nicht gesehen hatte. Sie gingen einen endlosen, dunklen Korridor hinauf und erblickten hinter halboffenen Türen Räume, die im Schatten lagen und in denen sich Schreibzimmer, Bänke und gelegentlich kleine Amphitheater befanden - ein Labyrinth der Verwaltung, das ohne Zweifel seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt wurde.
    Das Licht der Monde drang kaum durch die staubigen Fensterscheiben, und Arekh vertrieb sich die Zeit damit, sich die Arbeit eines Baumeisters vorzustellen, der einen Grundriss des Gebäudes

Weitere Kostenlose Bücher