Rune der Knechtschaft
des Emirs und einer Patrouille aus Harabec gekommen, auf umstrittenem Gebiet. Es herrschte noch kein Krieg, und der Herold des Emirats konnte zu Recht behaupten, dass die Patrouille aus Harabec den Vorfall ausgelöst hatte: Sie war jenseits ihrer Grenze gewesen. Aber die Situation spannte sich immer weiter an. Fahnur, eine der sieben Freien Städte, hatte die Truppen des Emirs passieren lassen und ihnen so ein Einfallstor in den Süden geöffnet.
Die Leichen waren in den Palast geschafft worden, um von den Priestern untersucht zu werden, die sehen wollten, ob Magie am Werk war, um sich auf einen Angriff
vorbereiten zu können. Arekh sah sich die Toten aus der Nähe an. Seiner Meinung nach war die einzige Hexerei die Geschicklichkeit, mit der manche Soldaten des Emirs ihre Waffe führten, den Hâsir , ein zweischneidiges Krummschwert. Riesige Wunden klafften in Brust und Kehle der armen Soldaten aus Harabec, um die schon die Fliegen kreisten.
Arekh wandte sich ab.
Drei Hofdamen in bestickten Gewändern waren auf den Hof getreten; die Ankunft der Karren, auf denen die Leichen aufgebahrt waren, musste sie geweckt haben. Sie stießen bei dem Anblick kleine, spitze Schreie aus, beruhigten sich aber rasch wieder und blieben fasziniert neben den Leichen stehen, um ungerührt zuzusehen, wie drei junge Priester in der zunehmenden Wärme mit der Autopsie begannen.
Arekh holte sich Tee aus der Küche. Er hatte Kopfschmerzen; das Herz war ihm schwer. Er fühlte sich von der ganzen Menschheit angeekelt. Dennoch war er über die Reaktion der Hofdamen nicht entsetzt. Bauern dachten manchmal, dass die Adligen in einer beschützten Welt lebten und der Anblick des Todes ihnen nicht vertraut war. Die Annahme war so falsch wie nur irgendetwas. Oh, gewiss, es brachte viele Vorteile mit sich, adlig und reich zu sein, aber Krankheiten schlugen dennoch zu, Frauen starben ausgeblutet auf Satinlaken im Kindbett, fieberkranke Säuglinge wurden tot in ihren Wiegen aus geschnitztem Holz gefunden, Sklaven und Diener gerieten auf der Straße in Schlägereien und starben dann langsam in ihren Quartieren, krümmten sich vor Schmerzen, während ihre Wunden sich entzündeten …
Leben und Tod waren miteinander verwoben wie die Fäden der Stickereien auf den Gewändern, und selbst
das leichtfertigste Flittchen am Hof war sich dessen bewusst.
Auch über der Hauptstadt Harabec lag der Schatten des Krieges. Arekh traf dort nach einem Morgen im Sattel ein, band sein Pferd in einem gepflasterten Hof an und machte trotz des leichten Nieselregens einen Spaziergang durch die Straßen. Der Himmel war grau, die Steine rutschig. Die Einwohner versammelten sich unter den über den Märkten aufgespannten Zeltbahnen und unterhielten sich über die neuesten Gerüchte. Schiffer, die den Fluss heruntergekommen waren, hatten angeblich gesehen, dass Truppen auf die Tränenstadt vorrückten. Ein Dorf war im Süden des Gebirges niedergebrannt worden, seine Einwohner massakriert. Ein großer Hexenmeister aus dem Emirat sollte angeblich in der kleinen Stadt Palis im Herzen des Landes gesehen worden sein, wo er ein Ritual vorbereitet hatte, das dem Zweck diente, das Königshaus zu vernichten. Noch schwerer wog es in den Augen der Einwohner von Harabec allerdings, dass der Emir angeblich Boote geplündert hatte, die den Joar abwärtsgefahren waren.
Letzteres wollte Arekh gern glauben. Er fragte sich, wie es den Verbannten dort unten im Herzen der Tränenstadt jetzt wohl erging. Soweit er wusste, war die Stadt noch immer frei, aber die Lage verlangsamte sicher den Handel und verschärfte die Spannungen.
Aber als er an die Verbannten dachte, trat ihm Marikanis Bild vor Augen, das er rasch verscheuchte.
Er kehrte um und begab sich in die Reynes-Botschaft in Harabec, in der er eine Verabredung hatte. Ihre Architektur ähnelte der der Botschaft in der Tränenstadt, und das gleiche Wappen zierte das Tor. Ein Mann in schwarzsilberner Livree begrüßte Arekh, als er eintrat, aber Arekh
zuckte nicht einmal zusammen. Er würde auf dem Territorium von Harabec nicht verhaftet werden, ganz abgesehen davon, dass es vonseiten der Fürstentümer nicht sehr diplomatisch gewesen wäre, ihm nun, da er zu Marikanis Geheimem Rat gehörte, Scherereien zu machen.
Offiziell war Arekh hier, um die Meinung des Rats über den Seidenhandel zu verkünden, aber das Gespräch drehte sich in Wirklichkeit um den Emir und seine Beziehungen zu Reynes. Der Sekretär, mit dem Arekh sprach, bestätigte,
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