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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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lag in der Luft. Verella wies jegliches Lebewesen als Opfer zurück, und nur Ackerwinden, Seerosen und Wasserpflanzen starben unter den Messern. Ihre zerschnittenen Blütenblätter wurden dann in alle vier Winde verstreut, um den wohlwollenden Blick der Göttin so weit wie möglich schweifen zu lassen.
    Ja, die Kulisse war wunderbar.
    Aber Arekh war trotz seines wenig gewöhnlichen Lebenswegs in den regnerischen Regionen des östlichen Reynes aufgewachsen. Die Tabus, die ihm in seiner Kindheit beigebracht worden waren, waren ihm noch immer sehr gegenwärtig: In Reynes war der Geschlechtsakt nichts, was man leichtnahm, und man vollzog ihn nicht so ungehemmt, selbst zu Ehren der Götter nicht. Natürlich war das Begehren Teil des Göttlichen, und Verella hatte ihm den Legenden nach mit häufig wechselnden Liebhabern gehuldigt. Aber, so dachte Arekh, sie war auch eine Göttin. Die Menschen waren anders.
    Es war ihm unbegreiflich, wie sich Ehepaare, die sich gegenseitig Treue geschworen hatten, und junge Leute, die noch unberührt waren, so gehen lassen konnten. Das wäre unmoralisch gewesen, wenn die Göttin nicht alle Sünden, die in ihrem Namen begangen wurden, vergeben hätte.
    Das Fest begann langsam. Die Höflinge ließen sich wie jeden Abend Zeit damit, sich zu reinigen und zu plaudern. Die wichtigen Adligen trafen später ein, in schöne Gewänder gehüllt, die sie länger als an anderen Tagen anbehielten - wenn sie schon so viel Zeit damit verbrachten, sich
anzukleiden, wollten sie sich nun auch ausgiebig bewundern lassen.
    Da die Zeremonie wichtig war, würden Halios und Marikani beide daran teilnehmen, was seit Marikanis Rückkehr an den Hof nicht vorgekommen war. Halios erschien sehr bald in ein schwarzes, silberbesticktes Gewand gehüllt. Er trug eine schwere Halskette, was den Klatsch der Höflinge anregte: Die Kette hatte einem früheren König von Harabec gehört, und nur der Erbe hatte das Recht, sie zu tragen. Dies war also eine Provokation, die eine gute Stunde lang das Gespräch beherrschte, bis Marikani eintraf.
    Als sie erschien, war sie sorgfältig frisiert. Sie trug eine weite Hose und eine orangefarbene Samtjacke. Lächelnd schritt sie an Lionors Arm einher, gefolgt von einem Dutzend entzückter Höflinge. Sie begrüßte den Verella-Priester und machte ihm ein Kompliment zu der schönen Zeremonie, begrüßte Halios und lobte seinen Schmuckgeschmack, verglich minutenlang den Schnitt ihrer Kleider mit denen Vashnis, sprach ein wenig zu laut von Mode und Stoffen, um zu zeigen, dass sie keine einzige Sorge im Kopf hatte. Als sie dann näher kam, sah Arekh, vielleicht als Einziger, dass ihr Gesicht sich kurz vor Erschöpfung verzerrte, als sie sich mit dem Rücken an eine Säule gelehnt auf einem Teppich niederließ.
    Silbertabletts standen auf dem Boden; in verzierten Flaschen befand sich der heilige, mit Alkohol versetzte Trank, der dazu diente, Geist und Körper zu enthemmen. Arekh durchschaute rasch, dass die Trinkgläser zu Angeboten genutzt wurden. Ein Mann goss immer zwei Gläser ein, eines für sich, eines für die Dame, für die er sich interessierte. Er bot es ihr an, und wenn die Dame trank, statt höflich abzulehnen, bedeutete das, dass sie bereit war, Verella mit ihm zu verehren.

    Der Mann konnte sich sodann zu gewagteren Schritten hinreißen lassen.
    Der Rauch der Kerzen und des zu Ehren Verellas verbrannten Weihrauchs sorgte für eine angemessen vernebelte Atmosphäre, und erste Paare gaben sich auf den Teppichen ihren Liebesspielen hin, ohne dass sich irgendjemand daran gestört hätte. Das bildete einen seltsamen Kontrast zu den noch angekleideten Höflingen, die vollkommen ernst über Politik und Geschäfte sprachen, während nur einige Schritte entfernt nackte Körper lagen oder sich ineinander verschlungen bewegten.
    Manche Höflinge plauderten heiter in den Becken. Andere, die sich nach dem Reinigungsritual entkleidet hatten, schienen vergessen zu haben, dass es sich um eine Orgie handelte, und tratschten nackt wie alte Freunde miteinander, während sie den Alkohol tranken.
    Die Liebespaare bestanden nicht in jedem Fall aus einem Mann und einer Frau. Arekh zuckte entsetzt zusammen, als er sah, wie Lionor mit zwei Gläsern auf Marikani zutrat und ihr eines reichte, bevor sie sich bückte, ihr einen langen Kuss auf die Lippen drückte und sich schließlich lachend entfernte.
    Als sie dann aus ihrem Glas trank, hob Lionor den Blick zu Arekh, als wisse sie ganz genau, dass er die

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