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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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worden? Der Satz hing einen Moment lang in der Luft, aber Marikani vollendete ihn nicht. Sie schien nachzudenken und begegnete Arekhs Blick; er fragte sich, ob sie ihm die gleiche Frage stellen würde.
    Nichts. Arekh streckte die Hand nach dem Weinschlauch aus und bemerkte, dass die Hofdame ihn mit einem Hauch von Verärgerung musterte. Dann wandte sie den Blick ab.
    Arekh lächelte. Manche Seelenleserinnen verlangten ein Vermögen dafür, Gedanken zu lesen; hier waren dazu keine besonderen Fähigkeiten nötig.
    »Nur zu«, sagte er zu der Hofdame, »fragt mich aus. Warum bin ich verurteilt worden? Ihr wartet doch nur auf meine Antwort, um Eurer Herrin ihre Torheit vorwerfen zu können. Was ist über sie gekommen, dass sie sich ins Wasser gestürzt hat, um Galeerensträflinge zu retten - Verbrecher?« Er schwenkte Marikanis Dolch, den er ihr noch
nicht zurückgegeben hatte. Er hatte ihn benutzt, um den Schinken zu schneiden. »Verbrecher, die sich Eures eigenen Dolchs bedienen könnten, um Euch beide zu töten.«
    »Sie ist nicht meine Herrin«, sagte die junge Frau.
    »Sie ist eine Königin, und Ihr seid in ihrem Gefolge. Macht sie das nicht zu Eurer Herrin?«
    Marikani und Mîn hörten zu: Mîn entsetzt, beunruhigt, dass der Streit ausarten könnte, Marikani mit einem amüsierten Funkeln in den Augen, als hätte sie das Gefühl, dass ihre Hofdame das Gespräch ganz gut im Griff hatte.
    »Ich bin ihre Freundin, nicht ihre Gesellschafterin«, erklärte die Frau in stolzem Tonfall. »Mein Name ist Lionor. Was das Übrige betrifft … Ihr habt tatsächlich ganz hervorragend zusammengefasst, was ich denke. Ihr seid ein zur Galeerenstrafe verurteilter Verbrecher und habt Euch des Narren auf dem Boot … nun, sagen wir, mit offensichtlichem Talent entledigt. Es ist nur natürlich, dass ich mir Sorgen mache.«
    »Ihr wünscht mich weit fort«, fügte Arekh sanft hinzu. »Ihr wünscht, ich würde das Gleiche tun wie der andere … Euch danken und dann meiner Wege gehen. Täusche ich mich?«
    »Keineswegs«, erwiderte die Frau mit einem eisigen Lächeln, das zu perfektionieren sie am Hof von Harabec gewiss reichlich Gelegenheit gehabt hatte. »An meiner Stelle würdet Ihr genauso denken.«
    »Sicher«, sagte Arekh und verneigte sich. Neuerliches Schweigen. Marikani trank einen Schluck Wein, als ginge das Gespräch sie nichts an. »Also?«, fuhr er fort, als sie zu zögern schien, die Frage zu beantworten, die nicht gestellt worden war. »Warum seid Ihr ein solches Risiko eingegangen?«
    Marikani sah ihn amüsiert an. »Welches Risiko?«
    »Das, uns zu retten.«
    »Ich sehe nicht gern gefesselte Leute sterben«, sagte sie schlicht.
    Arekh musterte sie einen Moment lang. Ihr Gesicht war ruhig; ihre Augen leuchteten. »Das ist ja sehr edel von Euch, aber es sterben täglich gefesselte Leute unter fürchterlichen Qualen, überall in den Königreichen. Sogar in Harabec, davon bin ich überzeugt.«
    »Ohne Zweifel«, sagte Marikani. »Aber sie tun es nicht vor meinen Augen. Was in unserem Blickfeld geschieht, fällt in unsere Verantwortung, habt Ihr das vergessen?«
    Die Worte stammten aus klassischen philosophischen Handbüchern, aber Arekh sah neuerlich ein Aufblitzen von Humor in den braunen Augen, ganz so, als fände Marikani Gefallen an Diskussionen oder als sei es solch eine absurde Situation, mitten in der Wildnis mit einem ausgewiesenen Verbrecher über Verantwortung zu sprechen, während ihnen die Truppen des Emirs auf den Fersen waren, dass sie es einfach genießen musste.
    »Es reicht nicht aus, Euch auf die Prinzipien zurückzuziehen, aya Marikani. Wir haben alle unsere eigene Art, sie anzuwenden. In Eurer Situation hätte jeder andere sich selbst in Sicherheit gebracht - und das wisst Ihr. Ihr seid gesuchte Flüchtlinge, und die Tatsache, dass in der Nähe Gefangene sterben, während eine Schlacht tobt - und hunderte von Todesfällen verursacht, die Euch, wie ich weiß, nicht das Herz gebrochen haben -, betrifft Euch nicht. Wenn Ihr empfindsam seid, verschwendet Ihr vielleicht einen Gedanken an die Sträflinge … aber die Logik gebietet Euch, nicht einzugreifen.«
    Das amüsierte Funkeln war noch immer da. Rief sie sich ähnliche Diskussionen mit ihren Ministern ins Gedächtnis?

    »Logik und Menschlichkeit gehen nicht immer Hand in Hand, Nde Arekh. Habt Ihr immer logisch gehandelt?«
    »Meine Handlungen sind kaum von Bedeutung. Ich trage nicht die Verantwortung für ein ganzes Land. In Eurem Fall ist es ein

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