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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Arekhs Rührung verflog sofort.
    Zu helle Iriden beunruhigten ihn immer. Die Angehörigen des Türkisvolks - die Sklaven - waren die Einzigen, die blaue Augen hatten. Es war eine schändliche Farbe, die ihnen die Götter zum Zeichen der Verachtung und der ewigen Verdammnis aufgedrückt hatten.
    Dennoch hatten - so seltsam das auch scheinen mochte - nicht alle freien Menschen braune Augen. Selbst in den besten Familien kamen graue, grüne oder gesprenkelte Augen
vor … In Reynes, in den nördlichen Fürstentümern, war man der Ansicht, dass ein solches Merkmal einen verderbten, doppelzüngigen oder feigen Charakter verriet - wie den der Sklaven. Arekh wusste mittlerweile, dass es sich dabei nur um Vorurteile handelte, aber seine Erziehung hatte seine Instinkte geprägt. Männer und Frauen mit hellen Augen beunruhigten ihn, als ob die Transparenz ihrer Iris ein Beweis für die Unzulänglichkeiten und die Ambivalenz aller menschlichen Wesen sei, so, als hätte die Verfluchung der Sklaven auch alle anderen mit befleckt …
     
    Jenseits der Baumkronen sank bereits die Sonne, als sie haltmachten, um zu essen.
    Zum ersten Mal ließen sie sich Zeit, setzten sich auf einen großen, flachen Felsen und nutzten ihn als Tisch. Arekh verteilte die Reste des Brotes und den Schinken und zog aus dem Beutel den Weinschlauch hervor, den er ganz unten gefunden hatte.
    »Wir sind im Herzen der Welt«, sagte Marikani leise.
    Die Hofdame lächelte. »Am Fuße des Um-Eroch.«
    In den Baumkronen kam Wind auf, wie um ihre Worte zu unterstreichen. Ja, die Wälder östlich der Berggipfel waren eine der wenigen naturbelassenen Gegenden der Königreiche - dank des Wechselspiels der Kriege und des Handels. Die Gipfel gehörten zu einem häufig umkämpften Landstrich, der politisch zu oft durch verschiedene Hände gegangen war, als dass irgendein Volk die Zeit gehabt hätte, sich dauerhaft dort niederzulassen. Der Boden war ohnehin zu steinig, um ernsthaftes Interesse zu erregen. Die Wälder und Berge waren daher unbewohnt - oder doch fast. Nur die Nomadenstämme, die keinen Herrscher anerkannten, kamen gelegentlich auf ihren Streifzügen hier vorbei.

    Am Fuße des Um-Eroch … ein langes Band aus Bäumen, Steinen, Bergen und Stille. Ein Quell der Ruhe in Ländern, in denen es keinen Stein gab, der nicht von einem Hammer berührt worden war, kein Feld, auf dem nie etwas gesät worden war, keinen Baum, der nicht Generationen von Bauern oder Städtern hatte leben und sterben sehen.
    Sie aßen die letzten Fladen auf und widmeten sich dann dem Schinken, bevor sie sich den Weinschlauch teilten, den Arekh dem Schäfer abgekauft hatte.
    Ein kleiner Zweig fiel auf Marikanis Schulter; sie hob den Kopf und sah, wie ein Tier mit grauem Fell den Stamm hinaufflitzte. Sie folgte dem Geschöpf mit Blicken, lächelte und sah dann ohne erkennbaren Grund Arekh an. Sie hatte goldbraune Augen - wie es sich für eine Person ihres Standes geziemte, dachte er mit derselben aggressiven und bitteren Ironie, die ihn schon auf dem Boot gepackt hatte.
    Dann wandte sie sich dem Jungen zu. »Wie heißt du?«, fragte sie.
    Der Junge zuckte zusammen. Er hatte noch ein Stück Fladenbrot in der Hand und hatte bisher weder das Fleisch noch den Wein angerührt. Wahrscheinlich war er beides nicht gewohnt.
    »Mîn«, antwortete er. »Eigentlich … A-Mîn. Vom Hof in Perkenez.«
    »Mîn … Das ist hübsch«, sagte die Hofdame. »Wo liegt Perkenez?«
    Der Junge sah sie angstvoll an.
    »In der Nähe von Faez?«, fragte Marikani mit sanfter Stimme. Als das Kind immer noch nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Gehört dein Bauernhof Seiner Mächtigkeit, dem dreifach von den Göttern gesegneten Emir, dessen Lächeln ewig währt?«

    Keine Spur von Sarkasmus in ihrer Stimme, obwohl sie von ihrem ärgsten Feind sprach. Arekh wusste die Leistung zu würdigen.
    »Unser Herr ist Lord Hannist untertan«, erklärte Mîn. »Ihm zahlt der Hof den Zehnten.«
    »Hannist«, wiederholte die Hofdame und sah Marikani an. »Kinshara.«
    »Ja, Hannists Vater hat in den Salzkriegen gekämpft«, sagte Marikani. »Seine Männer haben damals die Brücke nördlich von Sleys zerstört … Der dortige König musste verhandeln, weißt du noch?«
    Mîn lauschte mit weit aufgerissenen, erschrockenen Augen.
    Marikani lächelte ihm noch einmal zu. »Kinshara ist ein großartiges Land. Es heißt, dass die Böden dort sehr fruchtbar sind. Was … warum bist du …«
    Warum bist du zur Galeerenstrafe verurteilt

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