Rune der Knechtschaft
von uns ist krank, beinahe dem Tode nahe …«
Mîn versteifte sich, und Marikani warf Arekh einen vorwurfsvollen Blick zu, als nehme sie es ihm übel, die Wahrheit
so brutal auszusprechen. Er zuckte nur abermals mit den Schultern.
»Also?«, fragte er. »Was ist zu tun?«
Schweigen senkte sich über die Gruppe. Dann deutete Marikani auf die Skulptur am Ende der Höhle.
»Ganz einfach«, sagte sie. »Wir werden den Löwen folgen.«
Und drei Tage später fanden sie den Ausgang.
KAPITEL 5
Sie waren drei Tage lang gewandert.
Zermürbt vom Hunger, manchmal gar vom Durst, wenn sie keine Quelle gefunden hatten.
Sie waren dem Lachen der Löwen gefolgt.
Dann waren die Gänge breiter geworden.
Und sie waren um eine Ecke gebogen, hinter der sich der Haupttunnel befand.
Der nächste Brunnen war nur eine Viertelmeile entfernt. Ein Eingangsbrunnen wie der, durch den sie auf der Flucht vor den Hunden im Schnee in die Gänge eingestiegen waren. Ein hoher Steinbrunnen, in dem Sprossen zum Ausgang und ins Leben führten.
Dort oben, über ihren Köpfen, leuchtete ein kreisrundes Stück blauen Himmels.
Sie stiegen hinauf.
Draußen erschien ihnen alles wunderbar. Der Geruch des Grases und des Waldes. Der strahlend blaue Himmel. Der kleinste Farnwedel, das Moos auf einem Felsen, der Vogelflug, die Brise, die ihre Gesichter streifte. Zur Feier ihrer Rückkehr an die Oberfläche und ins Leben schien die Natur all ihre Schönheiten aufzubieten.
Hunger, Erschöpfung, Fieber und alles andere waren
vergessen, sobald sie die reine Luft wie ein Heilmittel einsogen.
Mîn ließ sich auf einen Felsen fallen. Sein Gesicht war außergewöhnlich blass, und er zitterte, aber er war am Leben und nahm seine Umgebung wahr. Er begann zu lachen und konnte nicht mehr aufhören; Arekh beobachtete ihn und fragte sich, ob die unaufhörlichen Krämpfe seine Wunde nicht wieder aufreißen würden.
Marikani trat zwei Schritte auf einen Baum zu und musterte seine Äste, als hätte sie vor hinaufzuklettern.
»Was macht Ihr da?«, fragte Arekh.
Seine Stimme kam ihm in der unermesslich weiten Landschaft schwach vor, und er musste die Frage wiederholen.
»Ich will versuchen zu sehen, wo wir uns befinden«, krächzte die junge Frau und räusperte sich, bevor sie fortfuhr: »Damit ich mich orientieren kann.«
Sie setzte den Fuß auf einen der unteren Äste, schwankte dann vor Erschöpfung und klammerte sich am Stamm fest. Arekh unterdrückte den Impuls, ihr zu helfen. Marikani biss sich auf die Lippen und begann zu klettern.
Lionor sah sich um. Auch sie war sehr blass. In ihren Augen lag nicht der geringste Anflug von Furcht.
Auch Arekh hatte den Eindruck, in Sicherheit zu sein. Sie waren sehr, sehr weit von dem Ort entfernt, an dem sie in die Gänge aufgebrochen waren. Der Schnee war verschwunden, und der dichte Pflanzenwuchs bewies, dass sie weit unterhalb des Passes der Berebeï waren. Aber das war noch nicht alles. Die Berggipfel in der Ferne bildeten eine unbekannte Silhouette. Sogar die Farben waren anders: Bläuliches Farnkraut wucherte auf den Hängen; die Bäume hatten graugrüne Schattierungen.
»Wir müssen einen Umweg nach Westen gemacht haben«, sagte Arekh.
»Ja«, sagte Lionor. »Ich glaube …«
Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, dass Arekh nahe hinter ihr stand, und ging nach einem kalten Blick auf ihn zu dem Baum hinüber, den Marikani immer noch emporkletterte.
»Ich glaube, ich sehe den Himmelsgipfel«, rief sie zu ihrer Herrin hinauf.
»Bist du sicher?«
»Ja, und der Anblick dieses Tals kommt mir bekannt vor. Sieh weiter nach Westen hinüber, da hinten hin … zum Fluss.«
Arekh wartete Marikanis Antwort nicht ab; er schlug sich in den Wald, um auf die Suche nach Nahrung zu gehen. Die Begeisterung, die der blaue Himmel hervorgerufen hatte, würde sie nur einen Moment lang aufrecht halten. Wenn die Sonne unterging, ohne dass sie etwas zu essen bekommen hatten, würden Kälte und Erschöpfung sie doch noch übermannen.
Er kehrte mit einem Eichhörnchen zurück, das er schon verletzt gefunden und dann getötet hatte, indem er es gegen einen Baumstamm geschlagen hatte. Er hatte auch einen Vorrat grauer Beeren, deren Namen er nicht kannte, von denen er aber wusste, dass sie essbar waren. Vor allem aber trug er über drei Kilo Maranien im Hemd.
Unter anderen Umständen hätte er ihren etwas strengen Geruch wohl Übelkeit erregend gefunden, aber jetzt konnte er es kaum abwarten, sie zu essen. Er hatte seine Ausbeute
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