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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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auch kaum neben Mîn fallen lassen, als Lionor schon begann, Holz zu sammeln, um ein Feuer zu entzünden. Arekh hielt sie nicht zurück. Es war ihm gleichgültig, ob sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Wenn irgendwelche Hunde auftauchten, würde er sie einfach aufessen.

    Angelockt von dem Geruch kletterte Mîn von seinem Felsen herab. Lionor und Arekh stürzten sich wortlos auf das Essen, schälten die gerösteten Maranien und schlangen sie fast ohne zu kauen hinunter. Arekh brauchte einen Augenblick, um zu bemerken, dass Marikani nicht aß. Ihr Blick war auf die Baumkronen gerichtet.
    » Aya Marikani? Ist das Mahl nicht nach Eurem Geschmack?«
    Seine Ironie sackte in sich zusammen. Er war zu erschöpft.
    »Sie denkt nach«, sagte Lionor kalt.
    »Das sehe ich.«
    Marikani wandte sich Arekh zu. »Dort drüben ist der Himmelsgipfel«, sagte sie und deutete auf einen felsigen Berg im Süden. »Etwa zwanzig Meilen östlich davon liegt im Gebirge der Sommerpalast von Harabec … Lionor und ich kennen die Gegend sehr gut«, fügte sie mit leuchtenden Augen hinzu. »Hier sind wir groß geworden.«
    Arekh musterte die ferne Landschaft, ohne etwas anderes als Wald sehen zu können. Weiter unten, in einem Tal, verriet ein silbriges Aufblitzen, dass es dort einen Fluss gab.
    »Im Gebirge?« Er versuchte, die Entfernung zu schätzen. Wenn dieser Fluss der Liam war, einer der Zuflüsse des Joar, dann … »Wir sind nicht auf zu Harabec gehörigem Gebiet. Beanspruchen die Kiranyer diesen Landstrich nicht für sich?«
    Marikani zuckte mit den Schultern. »Niemand lebt dort. Fünf Jahrhunderte lang stand die Gegend unter dem Schutz des Großen Tempels des Arrethas und damit unter dem von Harabec. Der Sommerpalast ist vor sechshundert Jahren gebaut worden und war rasch sehr beliebt. Einige Monate, nachdem ich von dort an den Hof gegangen bin, haben wir eine Schlacht gegen den Emir verloren, und
diese Berggegend wurde offiziell seinem Herrschaftsgebiet zugeschlagen. Aber ich glaube kaum, dass auch nur einer seiner Soldaten je einen Fuß hierhergesetzt hat. Danach haben die Kiranyer das Gebiet gekauft … und wieder verloren. Der Sommerpalast ist mittlerweile verlassen; die Kinder und Diener sind zurück an den Hof geholt worden. Aber ich habe dort einen Trupp von fünfzig Mann stationiert«, schloss sie mit einem schwachen Lächeln. »Nur für den Fall …«
    »Und Ihr wollt versuchen, zu ihnen zu gelangen?«, fragte Arekh. »Das würde Euch beträchtlich von Eurem Weg abbringen. Aber da Ihr ohnehin schon so viel Zeit verloren habt …«
    Marikani begann, eine Maranie aus der Schale zu lösen. »Wir sind eigentlich nicht mehr in Eile, nicht wahr, Lionor?«
    Die junge Frau nickte amüsiert. »Mit guten Pferden hätten wir auf der Straße nur sieben Tage gebraucht, um die Nordgrenze von Harabec zu erreichen. Ich glaube, wir haben den längsten Umweg der Geschichte gemacht.«
    Arekh zuckte die Achseln. Warum nicht? »Mit fünfzig Soldaten an Eurer Seite sieht die Sache schon anders aus.«
    »Ich denke vor allem ans Essen«, seufzte Marikani. »Und an die Betten. Könnt Ihr Euch das vorstellen - ein Bett? Mit Daunenkissen?«
    Arekh sah Mîn an. Er hatte zwei Maranien gegessen; seine Hände zitterten. Er würde die Reise sicher nicht überleben - aber andererseits hatte Arekh ihn schon so oft für so gut wie tot gehalten, dass er sich jetzt weigerte, Voraussagen zu treffen. Aber es ging nicht nur um Mîn. Würden sie - sie alle - eine neuerliche endlose Wanderung überleben, wenn sie nur die Früchte des Waldes zu essen bekamen, Wurzeln und, wenn sie Glück hatten, Maranien?
    Aber welche Wahl hatten sie schon? Arekh hatte wieder Kopfschmerzen; es fiel ihm schwer nachzudenken.
    »Ihr kennt die Gegend«, sagte er. »Wie lange werden wir brauchen?«
    Marikani nahm noch eine Maranie. »Keine drei Tage, hoffe ich.«
     
    Neun Tage später stiegen sie zwischen hohen Büschen, die mit winzigen weißen und rosafarbenen Blüten übersät waren, einen kleinen, grasbewachsenen Weg hinab. Der Himmel war blau, die Luft frisch, ohne zu kalt zu sein. Dann und wann kam eine kleine Brise auf, die den süßlichen Geruch schwarzer Beeren mit sich trug. Der Kontrast zwischen der Verfassung der Flüchtlinge und der friedlichen Heiterkeit des Ortes, an dem vor Jahrhunderten der Sommerpalast von Harabec errichtet worden war, hätte kaum größer sein können. In den Tunneln hatten sie sich nicht bewusst gemacht, wie ungewaschen und abgemagert sie waren,

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