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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Bildung aufsteigen zu können, nehme ich an«, sagte er in wenig freundlichem Tonfall.
    »Oh, das ist aber ein vernichtendes Urteil! Glaubt Ihr so sehr an die Überlegenheit des Adels … Galeerensträfling?«
    Es gab eindeutig kein Gespräch zwischen ihnen, das sich nicht irgendwann um Politik drehte. Arekh verneigte sich ein wenig, da ihm bewusst war, dass er diese Debatte schon im Voraus verloren hatte. »Damit ist es in Wirklichkeit nicht weit her, Aya Marikani. Ich habe lange genug gelebt, um bei den Adligen genauso viel Gewalt, Doppelzüngigkeit, Hass und Verwerflichkeit zu erleben wie bei den niederen Ständen. Vielleicht sogar mehr, denn der Lockruf des Geldes und der Macht korrumpiert einen umso schneller.«
    »Und dennoch denkt Ihr, dass nur Adlige Kinder von hoher Geburt unterrichten sollten?«
    Die Frage war nicht so harmlos, wie sie klang. Der Streit darüber tobte selbst innerhalb der Adelshäuser und der Geistlichkeit. Es gab nicht genügend verarmte Adlige, um den übergroßen Bedarf an Hauslehrern zu decken.
    Arekh nickte. »Der Meinung bin ich in der Tat. Die Götter haben die Gesellschaft wie das Gestein in Schichten aufgeteilt und hatten ihre Gründe dafür. Die Stabilität der Gesellschaft wird durch diese Schichtung gewährleistet; es ist niemals gut, wenn die einzelnen Stände sich vermischen. Es kommt nie etwas Gutes dabei heraus, wenn die Ordnung der Dinge umgestürzt wird.«
    »Wirklich?«, fragte Marikani langsam. »Aber Ihr sagt
doch, dass die Adligen ebenso verderbt sind wie die niederen Stände?«
    »Das sind sie auch. Aber es ist der Wille der Götter, dass sie die Königreiche beherrschen, und diesem Willen muss man gehorchen.«
    »Das sagt und denkt sich leicht, wenn man der einzigen Schicht angehört, die einen Platz an der Sonne hat, nicht wahr? Predigt Ihr im Namen Eures Standes, Nde Arekh?«
    Mit anderen Worten: War er adlig? Das war die erste direkte Frage, die Marikani ihm je gestellt hatte. Arekh schüttelte matt den Kopf. »Ich habe keinen Stand mehr - und das wisst Ihr sehr gut. Ganz gleich, welcher Abstammung ich bin, meine Taten und meine Verurteilung haben sie längst ausgelöscht.«
    Marikani wartete schweigend, als fordere sie ihn damit auf zu sprechen. Auf der Terrasse kam Wind auf und ließ die Blätter der Büsche ringsum erzittern. Arekh wandte sich wieder Marikani zu, um das Gespräch fortzusetzen und sich ihr vielleicht gar anzuvertrauen, als Lionor am Eingang der Terrasse erschien.
    »Marikani, es geht Madam Rhyse inzwischen besser. Sie ist bereit, mit uns zu sprechen. Du solltest kommen …«
    Im schwächer werdenden Mondlicht war Lionor nur eine dunkle, düstere Silhouette; Arekh wurde sich plötzlich bewusst, wie viel Hass er ihr entgegenbrachte. Der Mond erhellte Marikanis reines Gesicht, und Arekh hatte wieder einmal das Gefühl, dass von den beiden jungen Frauen Lionor der Schatten, Marikani aber das Licht war, ohne dass er dafür einen logischen Grund gehabt hätte, wenn man von seinem spontanen Misstrauen der Hofdame gegenüber und dem krankhaften Blau ihrer Augen absah.
    Trotz aller Bemühungen ihrer früheren Schülerinnen war Madam Rhyse bis dahin nicht bereit gewesen, sie zu
empfangen, und hatte ihre Tür, die von einem engen Gang im zweiten Stock des Südflügels abging, stets verriegelt gehalten.
    Arekh folgte den beiden eher aus Langeweile denn aus Neugier. Als sie die Treppe hinaufstiegen, sah Lionor sich mehrfach nach ihm um, als sei sie erstaunt über seine Gegenwart und wolle ihm so mitteilen, sich zurückzuziehen. Aber Arekh legte es darauf an, die Botschaft nicht zu verstehen.
    Er bereute es nicht. Die alte Dame bot ganz allein in ihrem überladenen Zimmern mit den erdrückenden, samtbespannten Möbeln einen merkwürdigen Anblick. Arekh hatte eine Vorliebe für bizarre Wesen und Situationen, die anders waren, als sie sein sollten; er hatte den Eindruck, dass die erbärmlichen Seltsamkeiten des Lebens seinen Argwohn dem Schicksal gegenüber rechtfertigten.
    Das Zimmer roch nicht so schlecht, wie er erwartet hatte. Gewiss gelang es Merue von Zeit zu Zeit, hier einzudringen, zu putzen und die arme Frau zwangsweise zu waschen. Auch das ein bizarres Spektakel, wie das Bild eines geistig verwirrten Malers: zwei alte Damen im nutzlosen Luxus eines prächtigen, leeren Palastes, zwei alte Dienerinnen als einzige Seelen des Ortes …
    »Wir sind es, Madam Rhyse, erkennt Ihr uns?«, fragte Marikani sanft und kauerte sich vor die alte Dame, um ihre Hand

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