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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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seine Beliebtheit hatte den damaligen Bürgermeister zu dem Angebot bewogen, ihm einen letzten Wunsch zu erfüllen. Der junge Mann hatte darum gebeten, das Urteil nur auf den festen Boden der Stadt zu beziehen, aber nicht auf das Wasser, und hatte sich unter den Schutz der Göttin Verella gestellt. Der Bürgermeister war amüsiert darauf eingegangen und hatte zum Scherz hinzugefügt, dass von nun an alle Verurteilten, die aus der Stadt verbannt wurden, sich der gleichen Gnade erfreuen könnten.
    Das war ihm zum Verhängnis geworden. Denn die Entscheidung des jungen Helden hatte sich als schlau erwiesen. Auf dem Kahn, den er zu seiner Wohnstatt gemacht hatte, hatten sich ihm seine Verlobte und alle kriminellen Elemente der Stadt angeschlossen - mitten auf dem Joar, direkt im Stadtzentrum, hatte er das Volk der Verbannten gegründet, das Wasser zu seinem Reich gemacht … das Wasser aller Gewässer. Den Fluss, die übrigen Ströme, die Schleusen, die Deltas … Der Joar war eine lebenswichtige
Handelsader - und von diesem Handel hing das Schicksal der Tränenstadt ab. Stück für Stück hatte das Wasservolk beträchtliche wirtschaftliche Bedeutung gewonnen und war eine Macht im Herzen der Macht geworden, eine einflussreiche Gruppe, mit der die wechselnden Bürgermeister im Laufe der Jahrhunderte politische Kompromisse hatten schließen müssen. Die Verbannten durften bei Todesstrafe - die sofort vollstreckt wurde - keinen Fuß an Land setzen, aber das war die einzige Einschränkung, der sie unterworfen waren. Auf dem Wasser waren sie frei … und reich.
    Nein, Arekh hatte die Verbindung nicht gleich hergestellt. Marikani war aufmerksamer gewesen. Kein Wunder. Harabec und die Tränenstadt unterhielten enge Beziehungen, und die künftige Königin wusste sicher Bescheid über die inneren Querelen der nächstgelegenen Nachbarstaaten.
    Auf dem Boot warf der Mann mit den langen, schwarzen Haaren den Kopf zurück und lachte. Rings um ihn diskutierten die Verbannten aufgeregt, während von der Brücke entsetztes Protestgeschrei ertönte.
    Der Ahaman gab einige kurze Befehle, und die Armbrüste hoben sich. Arekh unterdrückte einen Fluch, während der Herr der Verbannten das Wort ergriff. »Ganz schön schlagfertig, Prinzessin von Harabec«, begann er, ohne sich mit offiziellen Titeln aufzuhalten. »Aber du gehörst nicht zu den unseren; dein Land ist nicht meines.«
    »Ach, seit wann spielt die Herkunft der Verbannten bei deinem Volk eine Rolle?«, fragte Marikani, ohne sich einschüchtern zu lassen. Der Wind war stärker geworden; die Wellen rings um ihre Füße wurden bewegter. »Im Laufe der Jahrhunderte sind Verurteilte jeglicher Herkunft zu
euch gestoßen! Diese Verschiedenheit ist eure Stärke - haben das die Deinen nicht schon immer betont?«
    »Spiel da nicht mit, Sohn des Joar!«, rief der Bürgermeister. »Wir haben schon Übereinkünfte mit Seiner Mächtigkeit dem Emir getroffen. Ich warne euch alle, wenn ihr euch gegen uns stellt …«
    »Herr der Verbannten, willst du dich etwa so bedrohen lassen, wenn wir euch um Asyl bitten?«, unterbrach Marikani sogleich. »Lässt der Schwur, der eurem Vorfahren geleistet wurde, Ausnahmen zu? Und wenn auf Wunsch des Bürgermeisters bei uns eine Ausnahme gemacht wird, was wird ihn dann hindern, eine weitere zu machen - dann zehn, dann hundert, schließlich tausend?«
    »Das ist nicht der rechte Augenblick …«, flüsterte Arekh ihr ins Ohr. Sie hatten keine Zeit, lange zu reden. Sie mussten sich zurückziehen, außer Reichweite der Schusswaffen gelangen …
    Marikani ignorierte ihn. »Wenn ihr jetzt nachgebt, wenn man euch drängt, uns kein Asyl zu gewähren«, fuhr sie fort, »wird er dann nicht später wieder versuchen, euch zum Nachgeben zu bewegen?«
    Plötzlich landete ein Armbrustbolzen neben ihnen im Wasser, gefolgt von lauten Flüchen von jenseits der Grenze. Sicher ein Missgeschick; der Bolzen hatte sich wahrscheinlich von selbst gelöst. Aber es war ein Missgeschick, das die Dinge beschleunigte. Alle begannen gleichzeitig zu reden: die Verbannten auf dem Boot, die mit ausholenden Bewegungen diskutierten, obwohl die Barke in den Wellen schwankte, die immer weiter an Kraft gewannen; die Delegationsmitglieder auf der Brücke, von denen einige danach riefen, die Flüchtlinge festzunehmen und diesen Eklat zu beenden, während andere sich über den Schuss auf ihr Territorium erregten und wieder andere den Rückzug
der Soldaten des Emirs forderten. Der Ahaman, dem bewusst

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