Rune der Knechtschaft
sein musste, dass die Lage immer angespannter wurde, setzte seine Reiter in der Tat in Bewegung, ließ sie aber keineswegs den Rückzug antreten, sondern weiter nach Osten vorrücken, an der Straße entlang, und damit auch an der Grenze und am Flussufer, ganz wie ein Tier, das seine Beute nicht entkommen lassen wollte.
Arekh packte Marikani und Lionor an den Schultern, als wolle er sich leise mit ihnen beraten, und begann sie nach Osten zu ziehen, auf die Stadtmauern zu.
Der Wind fegte mittlerweile recht kräftig von einem schiefergrauen Himmel herab. Einige Regentropfen fielen und bohrten winzige Krater ins aufgewühlte Wasser.
»Das Territorium, das der Bürgermeister den Verbannten zur Verfügung gestellt hat, umfasst theoretisch nur die Gewässer innerhalb der Stadt«, erklärte Arekh den beiden Frauen mit gesenkter Stimme. »Es hat sich zwar eingebürgert, sie hinrudern zu lassen, wo sie wollen, aber der Kerl da« - er machte eine Kinnbewegung zum Boot der Verbannten hin - »sucht doch nur nach einer Ausrede, um uns abweisen zu können. Es wäre genug, wenn jemand ihm sagen würde, dass wir noch nicht in den Gewässern sind, in denen man um Asyl bitten darf.«
Marikani nickte und beschleunigte ihre Schritte, nachdem sie sich mit einem Blick vergewissert hatte, dass Mîn ihnen folgte. Das knöcheltiefe Wasser hielt sie kaum auf, aber der mittlerweile heftige Regen und der Wind machten ihnen die Sache schwer, als hätte der Emir die Luftgeister durch großzügige Opfer und Votivgaben dazu gebracht, für ihn zu arbeiten.
Der Herr der Verbannten machte eine Bewegung, und zwei Männer stakten das Boot langsam vom Ufer weg, nach Osten … noch weiter nach Osten. Als hätten alle
begriffen, was auf dem Spiel stand und warum Marikani auf die Stadt zueilte - alle bis auf den Bürgermeister, der versuchte, die Ruhe in seiner Herde wiederherzustellen.
Sie waren zu weit entfernt, um zu sehen, was für ein Ausdruck in den Augen des Herrn der Verbannten lag, aber Arekh spürte, dass der Blick des Mannes auf sie gerichtet war. Der Mann hätte eine Bemerkung machen, reden, drohen können, aber er schwieg, beobachtete sie, sah zu, wie sie immer schneller durchs unruhige Wasser liefen. Er wartet. Auf einen Vorschlag des Bürgermeisters - oder gar auf das Urteil der Götter? , überlegte Arekh. Darauf, zu erfahren, ob wir es schaffen werden, die Stadt zu erreichen?
»Ich warne dich, Sohn des Joar! Das wird ernste Konsequenzen haben!«, schrie der Bürgermeister.
»Wenn ich mein Land lebendig erreiche, werde ich die Zügel wieder in die Hand nehmen«, rief Marikani und blieb stehen. Im strömenden Regen klebten die Kleider der Flüchtlinge eng an ihren Körpern. »Unsere Zusammenarbeit kann fruchtbar sein … Denkt an die Schleusenzölle!«
Lionor konnte sich eines kleinen Lachens angesichts der Absurdität der Situation nicht enthalten. Arekh packte Marikani an der Schulter und stieß sie vorwärts. »Das ist wirklich nicht der rechte Augenblick!«, wiederholte er in gereiztem Ton.
Das Boot setzte seinen Weg nach Osten fort, ebenso die Flüchtlinge und die Männer des Emirs. Jeder Satz, jeder Augenblick führte sie näher an ihr Ziel heran: die Stadtmauer, unter der der Joar hindurchströmte.
Der Herr der Verbannten hob einen Arm. »Siehst du, Bürgermeister?«, rief er der Delegation zu, die von der Brücke heruntergekommen war und nun zu Fuß der allgemeinen Bewegung folgte. »Das Mädchen macht mir einen
Vorschlag, der sich in klingender Münze auszahlen wird. Und du? Du drohst mir! Was glaubst du, was ich lieber höre? Und - ohne dich beleidigen zu wollen: Sie hat viel schönere Beine als du!«
Marikani konnte sich nicht davon abhalten, einen kleinen Blick nach unten zu werfen, um nachzusehen, was der zarte Stoff der Gewänder aus dem Sommerpalast enthüllte, ohne dass es ihr zuvor bewusst gewesen war. Sie hob wieder den Kopf, um eine bissige oder amüsierte Antwort zu geben - aber dann überschlugen sich die Ereignisse. Der Ahaman, der sah, dass die Stadtmauern gefährlich nahe waren, gab den Reitern des Emirs einen Befehl; sie trieben ihre Pferde zum Galopp, überschritten die Grenze und stürmten direkt auf den Fluss zu.
Die Delegationsmitglieder gerieten in große Aufregung, protestierten und schrien, während der Bürgermeister wie festgewachsen stehen blieb, als hätte die Hand der Götter ihn berührt. Ein Pfeilhagel flog von den Stadtmauern in Richtung der Reiter - aber einige verirrten sich auch zu den
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