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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Traum etwas zu.
    Aber die Priesterinnen stammten ja auch alle von der Halbgöttin An-Amira ab … Halb menschlich, halb göttlich hatte An-Amira das erste Orakel eingerichtet, zu dem die Bewohner der Gegend sich begeben hatten, um das Wort der Götter zu hören. An-Amira hatte zahlreiche Gatten gehabt, und nur ihre Töchter und dann deren weibliche Nachfahren, denen die Gabe der Vorsehung verliehen war, durften Orakel abhalten.
    Um das Wort der Götter zu hören, musste man Priester sein oder von seinen Vorfahren ein paar Tropfen göttlichen Bluts geerbt haben. Und Arekh hatte keines in seiner Familie - allein schon die Vorstellung ließ ihn vor bitterer Erheiterung lächeln.
    Aber die zarte junge Frau, die neben ihm saß und die großen, braunen Augen aufs Licht der Laterne gerichtet
hatte, während sie ihre schlanken, goldenen Hände auf den Knien verschränkt hielt, trug das Blut des Arrethas in sich. Sie war die Nachkommin einer göttlichen Dynastie. Arekhs Erinnerungen regten sich. Er besann sich auf die Legende: Eine junge Prinzessin aus dem Emirat war von den Göttern entführt worden … Vor wie vielen Jahrhunderten?
    Und kam es überhaupt darauf an, ob die Geschichte von der Prinzessin, die Arrethas in einer Nacht, in der alle drei Monde voll gewesen waren, entführt hatte, wahr war? Arrethas hatte die Dynastie geschaffen, das war das Wesentliche. Im Laufe der Zeit hatten die Götter es sich zur Gewohnheit gemacht, sich mit Menschen zu verheiraten. Warum? Das war eine Frage für Priester oder Weise, die sich während der Bankette der Großen Konzile unterhielten … Vielleicht, um eine Verbindung zwischen ihnen und den Menschen zu schaffen, um dem Schlamm ein wenig Licht zu verleihen, um Helden und Könige hervorzubringen, die angeblich das einfache Volk inspirierten. Aber der menschliche Geist war so verdorben, die Seelen so schwarz, dass sich die Nachkommen der Götter - wie in der Legende vom Affenweibchen, die in Arekhs Geist entstanden war - gelegentlich wie alle anderen korrumpieren ließen.
    Nun - woher war die Geschichte zu ihm gekommen? Der Herr der Verbannten hatte von einer Gemeinschaft des Geistes gesprochen. Reichte Marikanis schwarzes Blut aus, um eine Verbindung zum Jenseits herzustellen? Nein … Es war nur ein Brauch, dem alle Neuankömmlinge sich beugen mussten, und es waren nicht alle von ihnen Nachkommen der Götter.
    Arekh war so gedankenverloren, dass er kaum mitbekam, wie der Herr der Verbannten Lionor bat, mit ihrer Geschichte zu beginnen. Die junge Frau hatte eine melodiöse Stimme, aber Arekh hatte keine Lust, ihr zu lauschen.

    Er sah zu, wie die Rauchkringel zum Himmel stiegen, schloss dann die Augen und lehnte den Nacken gegen das Holz hinter ihm. Ein angenehmes Gefühl hatte ihn überkommen - trotz der Gefahr, trotz der Umstände.
    Ein Eindruck von Ruhe, von Heiterkeit, den er schon lange nicht mehr verspürt hatte, seit … seit Monaten? Seit Jahren? War es nicht seltsam, hier zu sein - an diesem Ort, genau in diesem Augenblick?
    Er hatte überraschende Entscheidungen getroffen. Und zum ersten Mal bekannte er sich von ganzem Herzen dazu.
    Vielleicht war es sein Schicksal, hier zu sein. Vielleicht hatte Marikani ihm die Augen geöffnet, als sie von Wundern gesprochen hatte. Vielleicht hatte er eine bestimmte Rolle zu spielen.
    »… und der Priester hörte die Stimme, die nach ihm rief«, sagte Lionor. »Der Priester suchte und suchte, aber niemand war da - so groß die Gärten des Tempels auch waren, so viele Wege und Gebüsche es auch gab. Dann begriff er, dass die Stimme aus der Erde kam, unter dem Gras nahe bei einer großen Eiche hervor. Also nahm der junge Priester einen Spaten …«
    Lionors Stimme war ein wenig heiser. Vielleicht aufgrund der Droge?
    Ihre Stimme hob und senkte sich, wiegte ihn wie die Wellen.
    Im Zeichen des Wassers …
    Arekh verlor jegliches Zeitgefühl. Sein Geist schweifte ab, drehte sich wie der Rauch. Dann und wann erreichte Lionors Stimme sein Bewusstsein, und er schnappte einige Sätze der Geschichte auf.
    »›Aber was soll ich mit einem solchen Geheimnis nur anfangen?‹, fragte der junge Priester seinen Gott. ›Es wiegt so schwer. Seit ich es gefunden habe, als es aus der
Erde unter dem Tempel hervorrief, lastet es auf meinen Schultern wie eine Halskette, sein Feuer wärmt mich in der Nacht - und es bringt eine solche Verantwortung mit sich …‹«
    Eine leichte Brise kam auf und legte sich dann wieder. Obwohl Arekh die Augen noch immer

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