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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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geschlossen hatte, kam es ihm vor, als ob die Flamme in der Laterne aufloderte und als ob es plötzlich sehr heiß wäre …
    Dann übermannte ihn der Schlaf.
     
    Er erwachte am nächsten Morgen mit dem Gefühl, plötzlich in die Wirklichkeit zurückgekehrt zu sein. Fern von Geschichten, Träumen und Göttern war die Welt wieder greifbar und konkret geworden. Die Sonne schien, und die Tränenstadt war nur eine Stadt wie so viele andere, nachdem sie die Magie der Nacht verloren hatte. Die Wasserfläche roch nach Algen, in der Luft lag leichter Fisch- und Gemüsegeruch, der - weit davon entfernt, unangenehm zu sein - vom Markt, der auf dem Platz abgehalten wurde, herüberwehte.
    Die Straßen waren erwacht, und die Stadtbewohner gingen ihren Tätigkeiten nach; schrill erhoben sich die Stimmen von Frauen und Kindern über die Menge.
    Lionor war nirgends zu sehen. Arekh stieg von Boot zu Boot, froh, die frische Morgenluft zu atmen; sein Verstand war klar und scharf. Die rothaarige Frau, die gestern Abend die erste Geschichte erzählt hatte, lachte, als sie ihn sah, und reichte ihm frisches Brot und Trockenfrüchte; Arekh trank dazu kochend heißen Tee, der sehr kräftig schmeckte und besonders stark gezuckert war. Die Erwähnung der Schleusen war ihm wieder in den Sinn gekommen, als er aufgewacht war, und er hatte über die Handelsrouten und die Schwierigkeiten mit den Wegzöllen nachgedacht, die
seit ewigen Zeiten die Beziehungen zwischen Sleys, den Freien Städten und Harabec vergifteten.
    Er fand Marikani und den Herrn der Verbannten in angeregtem Gespräch auf Fässern sitzend. Arekh hörte sie den Vertrag abschließen, der als Dank für die Gastfreundschaft der Söhne des Joar gedacht war und die »Freundschaft« zwischen den Verbannten und Harabec besiegeln sollte. Der Herr der Verbannten wirkte im klaren Tageslicht sehr jung; vielleicht war er sogar einige Jahre jünger als Arekh. Dieser fragte sich, was dem Mann wohl so an den Geschichten des Vorabends gefallen hatte, die von der Nacht, der Droge und den Göttern hervorgebracht worden waren, dass er sich nun darauf einließ, das Bündnis zu schließen.
    Arekh selbst hatte darin nicht viel Sinn erblickt. Ohne Zweifel hätte ein Seher sie genauestens entschlüsseln können.
    Dennoch …
    Dennoch gab es da etwas, dachte er, während Marikani vom Fluss und von den Gewürzkarawanen sprach, die über die Südstraße zogen und durch die Hauptstadt von Harabec kamen. Irgendetwas, das ihn nur in seinem seltsamen Verdacht bestärkt hatte, dem Gedanken, der ihm schon in den Sinn gekommen war, als er die Geschichten der alten Musiklehrerin im Sommerpalast gehört hatte. Wenn die Geschichten von den Göttern gesandt waren, dann bestand ihr Zweck doch wohl darin, ihn davor zu warnen, dass …
    Wie um seinen Gedanken zu konkretisieren, erschien Lionor ihrerseits auf dem Boot und setzte sich wortlos neben ihre Herrin. Auch sie wirkte an diesem schönen Morgen heiter. Sie hatte ein beigefarbenes Kleid mit orangerotem Kragen angelegt, das sie sich sicher von einer der
Verbannten geliehen hatte. Die Farbe harmonierte besser mit ihrem Teint als die grauen und schwarzen Kleider, die sie gewöhnlich trug, und die Brise hatte ihre Wangen ein wenig gerötet. Ihr Haar war sehr schwarz, weitaus dunkler als das Marikanis, und der Kontrast mit ihren blauen Augen hätte denen, die sich von der Farbe Türkis nicht abgestoßen fühlten, wohl verführerisch erscheinen können.
    Türkis … nein. Lionors Augen waren eigentlich grau mit blauen Sprenkeln, nicht türkisfarben - es war nicht der unmenschliche Blauton der Sklaven. Aber es hatte immer schon Mischlinge gegeben … Trotz aller göttlichen Verbote hatten die Herren sich mit Frauen vom Türkisvolk vergnügt. Die Seelen der Menschen waren schwarz, das waren sie schon immer gewesen. Im Laufe der Jahrtausende waren einige Sklaven mit dunklem Haar und braunen Augen zur Welt gekommen; ihre Haut hatte den Goldton der Freien angenommen. Manchmal verschwamm sogar das türkisfarbene Mal - das Symbol ihrer Gefangenschaft, seit Ayona ihr Schicksal in den Sternen gelesen hatte -, das sie zwischen den Schulterblättern hatten, oder fehlte völlig.
    Es bestand große Gefahr, sie mit freien Menschen zu verwechseln. Zum Glück führten die Priester Register, wenigstens in den zivilisierteren Regionen.
    Arekh fuhr fort, Lionor zu mustern. Er wusste noch nicht, was er mit seinem Verdacht anfangen sollte … Oder war es schon eine Gewissheit? Im Laufe der

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